Oberhausen. . Die Machtübertragung an die NSDAP jährte sich zum 85. Mal. Grund genug für Historiker Oberschewen, an die mutige Jugend dieser Stadt zu erinnern.
Die Machtübertragung an die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) jährte sich am 30. Januar zum 85. Mal. Damals schlossen sich im Rhein-Ruhr-Gebiet junge Leute zu einer Protestbewegung zusammen, den Edelweißpiraten. Auch der Oberhausener Hannes Saddeler gehörte dazu. Er protestierte gegen NS-Deutschland, indem er sich gegen den Drill in der Hitlerjugend stellte. Historiker Klaus Oberschewen blickt auf eine mutige Jugend in dieser Stadt zurück.
„Wir nahmen Gitarren mit und sangen“
„Saddeler verfasste Anfang der 1980er Jahre einen Bericht über diese Zeit, der später in dem Buch ,Hoch-und Landesverräter. Antifaschistischer Widerstand in Oberhausen’ veröffentlicht wurde.“ Lassen wir Saddeler also an dieser Stelle selbst zu Wort kommen, indem wir aus diesen Erinnerungen zitieren: „Unser Club war damals eigentlich geboren aus der katholischen Sturmschar, aber das wurde ja 1933 alles verboten. Wir behielten aber unsere Zusammengehörigkeit bei. Samstags und sonntags ging’s auf Tour mit 10 bis 15 Leuten. Nach Grafenmühle, zum Halterner Stausee, nach Königswinter, wir nahmen Gitarren mit und sangen. Wir trugen alle Lederhosen, teilweise weiße Kniestrümpfe, Bundschuhe und Windblusen. Wir nannten uns damals Kittelbachpiraten nach einem Bach zwischen Duisburg und Düsseldorf, KP abgekürzt, was aber mit der KPD nichts zu tun hatte.“
Bei seinen Recherchen ermittelte Oberschewen: „Hannes Saddeler war 18 Jahre alt und Maschinenschlosserlehrling bei Babcock, als er im Polizeipräsidium Oberhausen misshandelt, gefoltert und anschließend an fast jedem Wochenende in Jugendarrest gesperrt wurde.“ Einer der Vorwürfe gegen ihn und viele andere sei „Bummelei“ an den Ausbildungs- bzw. Arbeitsstätten gewesen. „Der Vorwurf der Disziplinlosigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die Gestapo-Akten, die zu den Kittelbachpiraten angelegt wurden“, stellte Oberschewen fest.
Schwere Anschuldigungen
Diese drastische Anschuldigung von betrieblicher Seite habe auch den 1923 geborenen Oberhausener
Edmund Fehlings hart getroffen. Als Fehlings im April 1942 wegen mehrfachen Tragens des „Edelweiß“-Abzeichens von der Duisburger Oberstaatsanwaltschaft angeklagt worden sei, habe er bereits einen längeren Leidensweg hinter sich gehabt. Oberschewen: „Dieser Leidensweg ist im Katalogbuch der Oberhausener Gedenkhalle präzise recherchiert und genau dargestellt.“ Daraus gehe hervor: Fehlings, Vollwaise und seit Oktober 1938 als Jungbergmann auf der Zeche Concordia beschäftigt, war im Juli 1940 erstmals wegen „Arbeitsbummelei“ für drei Wochen in Haft genommen worden. Im August 1941 wurde der damals 18-Jährige, der vom Arbeitsamt als Landhelfer nach Dinslaken vermittelt worden war, erneut inhaftiert und für acht Wochen in das „Arbeitserziehungslager“ Hunswinkel (bei Lüdenscheid)
überführt.
„In diesen auch auf Initiative des Ruhrbergbaus gegründeten Lagern der Gestapo herrschten aufgrund von Zwangsarbeit und Strafen wie Essensentzug KZ-ähnliche Zustände“, führt der Historiker aus. Oberhausener Firmen wie Babcock, die GHH und die Altenberg AG hätten zu harten Maßnahmen gegen die aufmüpfigen Jugendlichen gegriffen und auch vor Denunziationen nicht zurückgeschreckt.
Auch das damalige Arbeitsamt machte bei der Jagd mit
„Der Essener Historiker Detlef Peukert hat die Dokumente über die betrieblichen Verfolgungen 1980 veröffentlicht“, sagt Oberschewen. „In mehreren Schreiben forderten die Firmenleitungen die Gestapo zu Maßnahmen auf, akribisch wurde der angebliche Produktionsausfall aufgelistet, Namenslisten mit angeblichen Bummelanten beigefügt.“ Auch das Arbeitsamt habe sich an dieser Jagd auf missliebige Jugendliche beteiligt und Maßnahmen gegen die Edelweißpiraten gefordert.
Viele Jugendliche hätten sich den Verfolgungen durch den freiwilligen Militärdienst entzogen. Viele von ihnen kehrten nicht aus dem Krieg zurück. „Auch Edmund Fehlings starb als Soldat 1943 bei Kämpfen um Orel südlich von Moskau.“ 2013 wurde ihm zu Ehren an der Ecke Roßbach-/Hagedornstraße in Sterkrade ein Stolperstein verlegt. „Hannes Saddeler aus Lirich überlebte den Krieg.“ Besonders wichtig sei Saddeler dieses Ereignis gewesen: „Auf einmal war da die Kirmes umstellt mit zwei schweren Wagen, SS kam runtergesprungen. Wir standen da. Die schnappten sich den Paul Thiele von uns und brachten ihn auf den Wagen. Ich rief den Kumpels zu: Was ist los Jungs, die können doch den Paul nicht mitnehmen, was? Und dann haben wir den Paul regelrecht von dem Wagen freigeschlagen.“