OBERHAUSEN. . 24 Stunden „Lesen gegen Nazis“. Mit dieser Aktion haben die Organisatoren im Gdanska am Altmarkt ein Zeichen gegen Neofaschismus gesetzt.
- 24 Stunden lang wurde in der polnischen Kultkneipe Gdanska am Altmarkt gelesen
- Die Veranstalter setzten damit ein Zeichen gegen Neofaschismus und rechte Gewalt
- Auch prominente Teilnehmer standen auf dem Podium und lasen dem Publikum vor
Wie gewohnt herrscht auch an diesem Freitagabend Hochbetrieb in der polnischen Kultkneipe Gdanska am Altmarkt. Doch auch abseits des Trubels tut sich was: Ganz hinten, im Raum mit der kleinen Bühne, sitzen etwa 20 Personen beisammen. Und sie sollen es noch eine ganze Weile tun, denn sie sind mitten drin, im 24-stündigen Lesemarathon „gegen Nazis“.
Ein Flügel, ein Tisch mit Stuhl und ein Rednerpult vor schwarzem Vorhang bilden die Ausstattung der Bühne. Am Rednerpult steht eine Frau, ihr Blick ist auf das Manuskript gerichtet. Sie liest aus dem Buch einer Deutsch-Iranerin vor. Von Thilo Sarrazin, dem „ausländerfeindlichen Sozialdemokraten“, ist da die Rede und von Vorurteilen gegenüber Zuwanderern, wie der frühere Bestseller-Autor sie verbreite, vom Hass gegen Fremde, den sein Buch geschürt habe. Seltsam, liest die Rezitatorin sinngemäß vor, auf ihren vielen Auslandsreisen zeigten sich die Deutschen so viel aufgeschlossener gegenüber fremden Kulturen als daheim. Doch auch die andere Seite des Themas kommt zur Sprache: die Selbstisolation vieler Zuwanderer, das Schweigen gebildeter Moslems gegenüber dem Extremismus aus den eigenen Reihen.
Immer wieder kommen und gehen Gäste. Die meisten werden mit Umarmung begrüßt oder verabschiedet. Im Halbdunkel des Saals herrscht eine familiäre Atmosphäre. Als es auf Mitternacht zugeht, hat sich nicht nur das Restaurant geleert, auch der Kreis der Zuhörer ist kleiner geworden. Apostolos Tsalastras, der Kulturdezernent, ist einer von ihnen. Zuvor hatte er selbst vorgelesen. Jetzt lauscht auch er, was Hans-Dietrich Kluge-Jindra, der scheidende Leiter der Stadtbibliothek, vorträgt. Der gibt Kurt Tucholskys „Zur soziologischen Psychologie der Löcher“ zum Besten, tiefsinnige wie amüsante Wortspielereien um das Etwas und wodurch es unterbrochen ist.
Pause von 3.30 bis 5 Uhr
Zum Lese-Marathon gehören aber auch Theater- und Musikeinlagen. Georg Overkamp aus Bottrop etwa greift zur Gitarre und singt vom Volk der „Dichter und Denker, der Scharfrichter und Henker“. Wenig später sitzt der Maler Robert Bosshard am Flügel und untermalt mit klanglichen Einsprengseln, was die Oberhausener Autorin Nikola Hackenberg von den Erinnerungen einer 90-Jährigen an ihren antifaschistischen Widerstand im Dritten Reich zu berichten hat.
Von einer Erholungspause zwischen 3.30 Uhr und fünf Uhr früh abgesehen, ist es den beiden Veranstaltern Christopher Jacobsen, dem Schriftsteller aus Düsseldorf, und Iris Goorissen von der „Lesebühne“ im Gdanska gelungen, ein 24-Stunden-Programm zu bieten. Das hatte Freitagmittag begonnen. Bei Gdanska-Wirtin Maria Golebiewski hatten die beiden Literaturfreunde offene Türen eingerannt, als sie anfragten, ob der Marathon dort stattfinden könnte. „Das ist uns sehr wichtig. Neofaschistische Bewegungen haben ja überall Auftrieb, auch bei uns in Polen. Da muss man ein Zeichen setzen“, sagt sie.