Oberhausen. . Verluste der CDU und der SPD – doch die eigenen Ergebnisse traten bei den Oberhausener Ratsparteien in den Hintergrund. Der AfD-Erfolg schockt.

  • Die SPD nimmt sich vor, sich künftig stärker um „die Abgehängten“ in der Gesellschaft zu kümmern
  • AfD-Bundestagskandidat Uwe Kamann hat mit seinem Einzug in den Bundestag fest gerechnet
  • CDU zeigt sich über den AfD-Erfolg enttäuscht, aber tröstet sich: „85 Prozent haben nicht rechts gewählt“

Die Erfahrungen an den Infoständen während des Wahlkampfes hallten nach: Die Oberhausener Sozialdemokraten hatten sich schon bei Mettwurst, Frikadellen und Käsewraps in ihrem Rathaus-Fraktionssaal auf Schlimmes eingestellt – da stöhnten nur wenige, als die Prognose die SPD bei schlappen 21 Prozent sah. Richtige Enttäuschung brandete erst bei der letzten Prognose-Zahl auf: 13 Prozent für die AfD.

SPD-Anhängerinnen im Oberhausener Rathaus.
SPD-Anhängerinnen im Oberhausener Rathaus. © Gerd Wallhorn

„An unseren Ständen gingen Leute vorüber, raunten Abfälliges – wir erreichen diese Leute einfach nicht mehr“, erzählt SPD-Ratsherr Manfred Flore. SPD-Chef Dirk Vöpel glaubt: „Das mit der Agenda 2010 erzeugte Misstrauen sitzt bei vielen noch tief.“ Und SPD-Ratsfraktionschef Wolfgang Große Brömer merkte, wie schwierig das Gespräch mit AfD-Anhängern ist. „Wir haben oft erlebt, dass Bürger mit nachweislich falschen AfD-Behauptungen ankamen, aber sie selbst handfeste Fakten nicht glaubten.“ Mit einer schnellen Entzauberung der AfD bei den Protestwählern rechnet er nicht, da sich der Missmut über die großen Parteien über Jahre aufgestaut habe.

Stefan Zimkeit mahnt zur Selbstkritik

Durch den starken Erfolg der mit teils rechtsradikalen Parolen punktenden AfD befürchtet SPD-Ratsherr Helmut Brodrick, Betriebsratschef des Oberhausener Turbo-Werkes, wirtschaftliche Nachteile für den Wirtschaftsstandort Deutschland. „Internationale Investoren achten bei ihren Entscheidungen darauf, wie ausländerfreundlich und tolerant eine Gesellschaft ist.“

SPD-Landtagsabgeordneter Stefan Zimkeit glaubt, dass seine Partei nun selbstkritisch schauen muss, „was wir künftig anders machen müssen“. Als entscheidend sieht Große Brömer an, dass sich die SPD künftig viel mehr als bisher um die Sorgen der Menschen, die sich abgehängt fühlen, kümmern muss.

CDU-Chef Hausmann: „Es ist immer problematisch, mit der SPD zu regieren“

Auch wenn die Oberhausener CDU Sonnenschirme aufstellte und sommerliche Strohhüte begehrter Kopfschmuck waren, wollte das Ergebnis der Bundestagswahl nicht so richtig sonnig stimmen. Das Ergebnis sei zwar nicht schön, aber es sei ein Regierungsauftrag, meinte CDU-Chef Wilhelm Hausmann 20 Minuten nach der ersten Hochrechnung. Da wanderte schon die Currywurst über die orangefarbenen Papiertischdecken in die Mägen der Unionsanhänger.

Marie-Luise Dött und Wilhelm Hausmann.
Marie-Luise Dött und Wilhelm Hausmann. © Gerd Wallhorn

Mit der FDP und der AfD sind nun zwei zusätzliche Parteien im Bundestag vertreten. „Das geht auch auf Kosten der CDU“, sagte Spitzenkandidatin Marie-Luise Dött, die moralische Unterstützung von ihrem Mann erhielt. Der Wahlkampf sei eigenwillig gewesen, mit einigen Bürgern habe sie richtig streiten müssen. Die AfD müsse man nun inhaltlich stellen. „Und die AfD muss für ihre Anträge Mehrheiten finden, das wird schwer fallen. So können wir sie entzaubern“, sagte sie in ihrer Dankesrede an die Wahlhelfer im Rathaus.

Dött will AfD entzaubern

Die zweistelligen Ergebnisse der AfD in Oberhausen will CDU-Chef Hausmann noch einmal zum Anlass nehmen, „genau hinzusehen“. In einigen CDU-Hochburgen habe die FDP Stimmen abzwacken können. Viele Bürger hätten strategisch gewählt, sich also für die FDP entschieden, um eine Große Koalition zu vermeiden, so der Parteichef. „Es ist immer problematisch, mit der SPD zu regieren, weil sie Opposition und Regierung gleichzeitig sein will“, meinte Hausmann. Und überhaupt: „Bei der vierten Wiederwahl wird man nicht auf einem Lorbeerkranz getragen.“

Was ihn im Wahlkampf imponiert habe, sei der Zuspruch von jungen Menschen gewesen. Sie hätten erkannt, dass man sich für eine Demokratie aktiv einbringen müsse.

Bei der AfD ist die Stimmung „sehr gut“

Bei Uwe Kamann, Oberhausener Direktkandidat der AfD, war die Stimmung gestern Abend „sehr gut“. Dank eines hohen Listenplatzes Neun ist der Aachener sicher im nächsten Deutschen Bundestag vertreten.

Und er war sich seiner Sache bereits im Vorfeld offenbar sehr sicher: Die Tasche für Berlin war schon vor der ersten Prognose gepackt, bestätigt Kamann am Telefon. Den gestrigen Tag hat er mit seiner Familie in Aachen verbracht. Als Wahlbeobachter hat er in seiner Heimatstadt die Auszählung der Stimmen überwacht. Es sei aber alles in Ordnung gewesen, sagt er.

Warum die AfD so gut bei der Wahl abgeschnitten hat? „Weil die Leute die Nase voll haben“, sagt der künftige Abgeordnete. In der Opposition werde er, werde die AfD insgesamt, künftig „den Finger in die Wunde legen und die Rechtsstaatlichkeit wieder herstellen“, sagt Uwe Kamann.

Den gestrigen Abend hat er mit Parteikollegen in Dinslaken gefeiert. Heute fliegt er nach Berlin.

FDP feiert mit Mozzarella-Spießchen

Die FDP hatte am Sonntag eindeutig Grund zum Jubeln. Und tat das bei Tomaten-Mozzarella-Spießchen und Fisch-Schnittchen im Rathaus.

Roman Müller-Böhm reiste noch am Sonntag nach Berlin.
Roman Müller-Böhm reiste noch am Sonntag nach Berlin. © Gerd Wallhorn

Fraktionssprecherin Regina Boos freute sich über das „stattliche Ergebnis“, ärgerte sich aber gleichzeitig über das „erschreckende, aber nicht unerwartete“ Abschneiden der AfD. Der Oberhausener Spitzenkandidat Roman Müller-Böhm freut sich, „dass es in Berlin für uns vorwärts geht.“ Allerdings sieht er eine mögliche Jamaika-Koalition skeptisch. Auch wenn die Sondierungsgespräche zwischen CDU, FDP und Grünen erst einmal starten müssen: „Da hätte ich sehr große Bauchschmerzen“, sagt er gegen 19 Uhr auf dem Weg zu SPD und CDU, um dann weiter nach Berlin zu reisen, wo er heute an der Fraktionssitzung der FDP teilnehmen wird. Ob Müller-Böhm es in den Bundestag schaffen wird, ist noch unklar.

Movassat schafft Wiedereinzug, die Freude bleibt aber verhalten

Bundestagsabgeordneter Niema Movassat im Linken Zentrum an der Elsässer Straße.
Bundestagsabgeordneter Niema Movassat im Linken Zentrum an der Elsässer Straße. © Lars Heidrich

Mit dem Listenplatz Sieben ist Niema Movassat sicher im nächsten Bundestag vertreten. Seine Freude fällt trotzdem verhalten aus. Denn auch bei den Linken herrscht großes Entsetzen über das gute Abschneiden der AfD. Dass eine „rassistische, rechtspopulistische Partei“ in den Deutschen Bundestag einziehen wird, sei „kaum zu ertragen“. Um so mehr müsse man jetzt Probleme bekämpfen statt sie nur wegzudiskutieren, wie es beispielsweise die CDU mache. Es müssten Lösungen gegen Kinder- und Altersarmut her, Löhne und Renten müssten steigen. Nur so ließe sich ein weiterer Erfolg der AfD stoppen.

Movassat verfolgte die Wahlergebnisse im proppevollen Linken Zentrum an der Elsässer Straße.

Grüne mit gemischten Gefühlen

Als im „Freiraum“ der Grünen die erste Prognose die Leinwand ausfüllt, gibt’s verhaltenen Jubel. Erleichterung ist bei den knapp 20 Mitfiebernden darüber zu spüren, dass das Ergebnis auf Bundesebene besser ausfiel als zuletzt prognostiziert. Wenig später wechselten die meisten Grünen dann ins Rathaus, um die Auszählung der Oberhausener Ergebnisse dort im großen Kreis mitzuverfolgen. Was das Abschneiden auf Stadtebene angeht, machte sich bei den Grünen bald etwas Ernüchterung breit: Nur 5,3 Prozent der Oberhausener hatten bei ihnen ihr Kreuzchen gemacht: „Nicht gerade toll“, bilanziert Vorstandssprecher Andreas Blanke. Allerdings liege man in Oberhausen traditionell immer etwas unterm Bundestrend.

Spitzenkandidat der Grünen: Patrick Voss (2.v.r.).
Spitzenkandidat der Grünen: Patrick Voss (2.v.r.). © Lars Heidrich

„Damit kann man nicht glücklich sein. Ist aber immerhin besser als bei der Landtagswahl“, urteilte auch Patrick Voss, der erst 18-jährige Spitzenkandidat der Grünen. Er selbst holte 5,0 Prozent der Erststimmen.