Oberhausen. . Jan Wehn präsentiert seine Novelle „Morgellon“ im gut besuchten Oberhausener Literaturhaus – mit verstörenden Schilderungen aus der Netz-Welt.
- Daraus entstanden ist die 75 Seiten starke Novelle mit dem Titel „Morgellon“
- „Googeln Sie das bloß nicht“ war einer der meistgehörten Sätze an dem Abend
- Das interessierte Publikum im Literaturhaus konnte nur fassungslos staunen
Die Realität übertrifft manchmal jede Fiktion. Denn wie sollte man herz- oder ernsthaft über die von Jan Wehn im bestens besuchten Literaturhaus auf der Marktstraße prosaisch präsentierten Verschwörungstheorien lachen, wenn schon im benachbarten Supermarkt jedes, aber auch wirklich jedes einzelne Paket Kaffee mit einem elektronischen Bapperl gegen ungebührliche Privatisierungsversuche gesichert ist?
Wie leicht man von der Beobachtung alltäglicher Phänomene auf dumme Gedanken kommen kann, das demonstrierte Jan Wehn in seiner gerade mal 75 Seiten starken Novelle „Morgellon“ (Korbinian Verlag Berlin, 10 Euro) ziemlich eindrucksvoll. Der Protagonist Noah Zimmermann, ein verkrachter Litaraturstudent, hat die Wohnung seines verstorbenen Opas übernommen und pfeift sich dessen geerbte Hausapotheke, sorgsam zermörsert, nach und nach durch die Nase.
Sehstörungen und massive Kopfschmerzen
Lauter pharmakologische Kracher, die früheren Generationen als liebevoll verharmloste „Bennies“ bekannt waren. Mit erwartbaren Folgen: schwere Sehstörungen und massive Kopfschmerzen. Dass ein alter Freund, der für ihn Rezepte zwecks Nachschubsicherung fälscht, Noah außerdem mit einer abstrusen Idee versorgt, lässt den ohnehin Labilen zügig ins Reich der Verschwörungstheorien abdriften.
Denn ihm erscheint ganz logisch, dass die in einschlägigen Kreisen vieldiskutierten Chemtrails – mit jeder Menge üblem Zeug angereicherte Kondensstreifen von Flugzeugen, die uns vergiften sollen – unmittelbar für seine Migräneattacken verantwortlich sind. Wogegen sich Noah mit sogenannten Organitkegeln wehrt, die er im Internet kennengelernt hat.
Thematisch höchst spannende Erzählung
„Googeln Sie das bloß nicht“ war einer der meistgehörten Sätze an diesem Abend. Denn im Gespräch mit Jan Kawelke berichtete der 30-jährige Autor ausführlich über die realen Hintergründe seiner literarisch nicht sonderlich anspruchsvollen, thematisch aber höchst spannenden Erzählung: „Auf alles, was in diesem Buch stattfindet, bin ich im Internet gestoßen.“
Und da taten sich für Jan Wehn – und in der Folge auch für seine Zuhörer – ungeahnte Abgründe auf: von genussvoll kommuniziertem Tablettenmissbrauch über die Chemtrail-Theorien bis hin zu den Reichsbürgern mit der fixen Idee, die Bundesrepublik sei eine GmbH. Nicht zu vergessen die titelgebenden „Morgellonen“ – der Wahn, es wüchsen einem winzige Kunstfasern aus der Haut. Wie gesagt: „Bloß nicht googeln!“
Das Publikum im Literaturhaus, dem als Zugabe obendrein zwei ähnlich schockierende Kurzgeschichten serviert wurden, konnte da nur fassungslos staunen. Zumal Jan Wehn offen zugab, keinerlei Erklärung für die immense Akzeptanz solcher Verschwörungstheorien zu haben. Nach diesem hochspannenden Abend dachte wohl so mancher an Marcel Reich-Ranicki: „Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen“.