Oberhausen. . Die „neuen Alten“ stellen Kommunen vor Herausforderungen. Nicht nur Pflege und Beratung sind gefragt, sondern auch Freizeitangebote.
- Städtische Seniorenplanung beschränkt sich laut SPD zu sehr auf Pflege und Beratung
- Die neue Generation von Senioren stelle andere Ansprüche. Auch Freizeitgestaltung wichtig
- Mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme der Strukturen und Angebote soll die Planung beginnen
„Die größte Kulturleistung eines Volkes sind die zufriedenen Alten“ behauptet ein japanisches Sprichwort. Auch jeder Kommune sollte an zufriedenen Senioren gelegen sein, schon im eigenen Interesse, findet Ercan Telli, sozialpolitischer Sprecher der Oberhausener SPD. Schon jetzt seien mehr als 35 Prozent der Wahlberechtigten 60 Jahre und älter.
„Wer die Senioren nicht für sich gewinnt, gewinnt hierzulande keine Wahl mehr“, ist Telli überzeugt. Höchste Zeit also, neu über all das nachzudenken, was landläufig unter den Begriff „Seniorenpolitik“ fällt: Denn die sei noch viel zu pflege- und beratungslastig – und nehme zu wenig die Bedürfnisse einer neuen Generation aktiver, unternehmungslustiger und bildungshungriger Senioren in den Blick. Im Gespräch mit Redakteurin Martina Nattermann erläuterte der 47-Jährige, wie sich die Oberhausener Sozialdemokraten eine moderne Sozialplanung in Bezug auf die Belange von Senioren vorstellen.
Riesenpotenzial für die Gesellschaft
Pflegeplanung, mobile Seniorenberatung, Wohnberatung für ältere Menschen. Es gibt doch einige Angebote, die die Stadt im Rahmen der Daseinsfürsorge für ihre älteren Bewohner bereithält. Was fehlt denn Ihrer Meinung nach?
Wenn man 65 ist, gibt’s eigentlich nur noch Angebote für Pflege und Beratung. Wir müssen die Alten- und Pflegeplanung erweitern, damit wir alle Lebensbereiche und Altersstrukturen in den Blick nehmen.
Was müsste denn – außer Pflege und Beratung – Teil einer neuen vorausschauenden Planung sein?
Auch die Bereiche Kultur, Bildung und Freizeitangebote müssen genau betrachtet werden. Bieten sie all das, was den Bedürfnissen von Senioren entspricht? Es will ja nicht jeder Leseopa werden, sobald er in Rente geht. Wenn wir zum Beispiel gucken, wie viele Senioren sich auch in die Flüchtlingsarbeit einbringen – da ist ein Riesenpotenzial, das wichtig ist für unsere Gesellschaft. Auf der anderen Seite gibt’s alte Leute, die kaum vor die Tür gehen, weil sie weite Wege scheuen oder ganz einfach kein Geld haben, um an den oft kostenpflichtigen Freizeitangeboten in ihrer Nähe teilzunehmen. Da wäre es wichtig, Quartiernetzwerke auf die Beine zu stellen, um der Vereinsamung entgegenzuwirken. Um allen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. So lange wie möglich.
Wachsende Altersarmut bei Frauen
Sie haben Ihr Konzept unter das etwas sperrige Schlagwort „Von der kommunalen Sozialpolitik zur sozialen Kommunalpolitik“ gestellt. Was genau ist Ihr Anliegen?
Kommunale Sozialpolitik – in diesem Begriff schwingt so eine gönnerhafte Haltung mit, die ganz und gar unangemessen ist. Ein Beispiel: Wir rennen geradeaus auf eine Situation zu, in der wachsende Altersarmut insbesondere Frauen betreffen wird, oft Mütter, die eine gigantische Lebensleistung erbracht haben. Ihnen müssen wir ersparen, sich als Bittstellerinnen fühlen zu müssen. Eine soziale Kommunalpolitik muss dafür Sorge tragen, dass es angemessene und bedarfsorientierte Hilfen und Angebote für alle gibt, weil sich die Qualität des Lebens im Alter vor Ort entscheidet. Denn wir bekommen es mit diversen Herausforderungen zu tun: eine steigende Zahl armer und sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen, Parallelgesellschaften und abgehängte Quartiere. Das alles muss man zusammen in den Blick nehmen.
Was also ist zu tun?
Vorausschauend planen. Das beginnt mit einer ehrlichen Ist-Analyse. Wir müssen zunächst die komplette Angebotsstruktur überprüfen: Passen die Angebote zur Zusammensetzung der Bevölkerung im jeweiligen Quartier? Der Aktionsradius älterer Menschen ist ja in der Regel kleiner als der von jungen – deshalb ist es wichtig, Beratungs-, Pflege- aber auch Freizeitangebote und Einkaufsmöglichkeiten für Senioren in jedem Viertel vorzuhalten. Bei der Überprüfung werden wir sicher feststellen, dass es Viertel gibt, in denen das Angebot in Sachen Gesundheit, Kultur, Bildung und Freizeit für jedes Alter und für jeden Geldbeutel schon recht gut ist und vielleicht nur an kleinen Stellschrauben zu drehen ist – aber es wird auch andere geben.
Geld für Dialogveranstaltungen
Und wie könnte so eine Bestandsaufnahme ganz praktisch vonstatten gehen? Es sind ja längst nicht alle Aktivitäten, Hilfs- und Beratungsangebote städtischer Natur, so dass man die Verwaltung damit beauftragen könnte.
Man könnte zum Beispiel einen kleinen Prozentsatz der Gelder, die im städtischen Etat als freiwillige Ausgaben für Seniorenarbeit enthalten sind, in eine Art Fördertopf geben. Daraus könnte man in jedem der sechs Sozialräume und 27 Sozialquartiere zum Beispiel Mittel für Dialogveranstaltungen bereitstellen. Sowas könnte etwa in einer Kirchengemeinde stattfinden, in der regelmäßig viele Senioren aus dem Viertel zusammenkommen. Da könnte man dann fragen: Was gibt’s hier im Stadtteil, was fehlt? Was ist euch wichtig?
Und was macht man dann damit?
Man gewinnt den Überblick – und kann so als Stadt nachjustieren und steuernd eingreifen, wo es notwendig ist. Vor allem aber wird die Verwaltung in die Lage versetzt, vorausschauend planen zu können. Derzeit reagieren wir immer nur auf bekannt werdende Mängel und akute Bedarfslücken, anstatt zu agieren. Das nimmt uns aber die Zeit und Luft, die man braucht, um auch mal neue, innovative Dinge zu erproben. Das aber möchten wir. Wir nennen das „Seniorenförderplan“.
>>> Aus der Statistik
Bei den 65-Jährigen oder Älteren gibt es in Oberhausen und der Region deutlich mehr Frauen als Männer, in der Erwerbsbevölkerung sind beide Geschlechter fast gleich stark vertreten.
Bei der Gruppe der Minderjährigen gibt es etwas mehr Jungen als Mädchen.
Bei den Deutschen ohne weitere Staatsangehörigkeit ist der Anteil der 65-jährigen oder Älteren rund doppelt so hoch wie der der Minderjährigen.