OBERHAUSEN. . Es war einst ein Vorzeige-Weltkonzern von Oberhausen – doch 2002 ging der Anlagenbauer Babcock insolvent. Die ersten Babcock-Jahre.

  • Die Abbrucharbeiten am Babcock-Hochhaus animierten Ex-Angestellte zur Geschichtsforschung
  • Das Unternehmen entstand 1867 in den USA als „Babcock & Wilcox“ – und stellte Kessel her
  • 1898 begann die Fertigung der Spezialprodukte in Oberhausen unter den Namen Babcock

33 Jahre lang, von 1966 bis 2000, hat Wolfgang Schulte-Krumpen aus Buschhausen bei Babcock gearbeitet. Die jüngsten Abbrucharbeiten am Babcock-Hochhaus an der Duisburger Straße haben ihn dazu bewogen, sich mit seiner kleinen Sammlung von Zeitungsausschnitten zur Firmengeschichte von Babcock an die Redaktion zu wenden. Sie stammen überwiegend aus der Firmenzeitschrift des Un­ternehmens. Darin wird der sensationell anmutende Aufstieg einer kleinen Dampfkesselfabrik zum weltweit tätigen Konzern beschrieben, dem schließlich die notwendige Neuausrichtung nicht mehr gelingt. 2002 meldete das Un­ternehmen Insolvenz an.

Wolfgang Schulte-Krumpen, ehemaliger Babcock-Mitarbeiter, hat Zeitungsausschnitte über seinen früheren Arbeitgeber gesammelt.
Wolfgang Schulte-Krumpen, ehemaliger Babcock-Mitarbeiter, hat Zeitungsausschnitte über seinen früheren Arbeitgeber gesammelt. © Tom Thöne

Wolfgang Schulte-Krumpen hatte schon zwei Jahre vorher gehen müssen. „Ich war zeitlebens in der Kerntechnischen Abteilung tätig“, berichtet der Diplom-Ingenieur für Verfahrens-/Nukleartechnik. Letztere aber war zuletzt eines der Sorgenkinder des Konzerns. Tritt fassen konnte der damals 51-Jährige nur noch, indem er zeitweise Ar­beit in Süddeutschland annahm.

Mit 61 Jahren ging er aus gesundheitlichen Gründen in den Vorruhestand. Lange vor dem 2011 verkündeten Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie zeichnete sich bereits deren Niedergang ab. Babcock gab den Geschäftszweig auf.

Schulte-Krumpen hält den Ausstieg aus der Kernenergie auch nicht grundsätzlich für falsch. Ihn stört daran nur, dass damit ausgerechnet das Land den Anfang gemacht hat, dessen Kerntechnik in­ternational auf dem höchsten Sicherheitsstand gewesen sei.

Als der heute 68-Jährige 1966 mit der Mittleren Reife seine Ausbildung als Technischer Zeichner bei Babcock begann, sah das ganz anders aus. 1963 hatte Babcock den Auftrag erhalten, den Reaktor-Druckbehälter für das Forschungsschiff „Otto Hahn“, einen Frachter, zu bauen. Es blieb bis heute Deutschlands einziges mit Atomenergie betriebene Schiff.

Ein angelsächsisches Unternehmen

Diese Entwicklung war die Folge jahrzehntelanger Erfahrungen im Bau von Industrie-Dampfkesseln.

Sie begann 1867 in den USA, wo die Firma Babcock & Wilcox gegründet wurde. Schon bald machte sie sich weltweit einen Namen mit der Großserien-Herstellung explosionssicherer Kessel. Seit 1891 hatte sie eine Niederlassung in London. Und von dort wurde 1898 die Deutsche Babcock & Wilcox AG mit Sitz in Berlin gegründet, die ihre Fertigung aber in Oberhausen, im damals boomenden Ruhrgebiet, betrieb. Dazu wurde die Schäfersche Dampfkesselfabrik an der Duisburger Straße mit ihren 60 Mitarbeitern übernommen.

Ein mächtiges Guss-Stück made by Babcock. Die Gießerei überlebte und feierte 2007 ihr 100-jähriges Bestehen.
Ein mächtiges Guss-Stück made by Babcock. Die Gießerei überlebte und feierte 2007 ihr 100-jähriges Bestehen. © Christoph Wojtyczka

In Lirich schnellte die Zahl der Beschäftigten in die Höhe. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs waren bei Babcock bereits 1152 Mitarbeiter tätig. Schon 1908 lieferte das Unternehmen ein Drittel aller in Deutschland hergestellten Wasserrohrkessel. Der einzige nennenswerte Zukauf blieben bis 1945 die Oberschlesischen Kesselwerke in Gleiwitz. Von dort aus wurde der osteuropäische Markt beliefert.

Mühsam mussten den englischen Aktionären soziale Standards abgerungen werden, die bei Oberhausens führendem Unternehmen, der Gutehoffnungshütte (GHH), üblich waren. Aber schon bald stand Babcock dem mit seiner Betriebskrankenkasse, dem Vertrauensleute-Körper, mit Baudarlehen, Überbrückungsgeldern und Beihilfen für die Wohnungseinrichtung sowie bei Hochzeit, Taufe oder Kommunion nicht nach. So wurde für die (wenigen) Angestellten hier schon vor dem Ersten Weltkrieg die 40-Stunden-Woche eingeführt. Die Arbeiter mussten darauf aber bis 1956 warten.

Selbst die Wirren der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg überstand das Unternehmen gut. 1922 erreichte sein Personal mit 1480 Personen einen neuen Höchststand.

Gießerei und Maschinenfabrik mussten aber während des Ruhrkampfs 1923 wegen Mangels an Roheisen und Kohle vorübergehend stillgelegt werden. Trotzdem sicherte sich Babcock mit der automatischen und später der wartungsarmen Befeuerung weiter seine führende Stellung im Dampfkesselbau.

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In der Weltwirtschaftskrise ab 1930 ging die Belegschaft aber von 1700 auf 1300 Beschäftigte zurück. Bei Babcock sanken die Verkaufszahlen 1932 gegenüber 1927 um 95 Prozent. Den Arbeitern blieb nichts anderes übrig, als freiwillig zu kündigen und sich zu schlechteren Bedingungen wieder einstellen zu lassen, bei einer von 55 auf 42,5 Stunden verringerten Wochenarbeitszeit - ohne Lohnausgleich. Aber zu dieser Zeit lebte ein Drittel der Oberhausener von öffentlicher Unterstützung.

Nach der Machtübernahme durch die Nazis passte sich Generaldirektor Robert Jurenka an das Regime an. Die halbe Belegschaft soll nach 1933 das NS-Parteiabzeichen getragen haben, berichtete die Firmenzeitung Jahrzehnte später. Babcock musste beweisen, dass es als ausländisches Unternehmen „national zuverlässig“ war.

Die von den Nazis betriebene Aufrüstung kurbelte auch in Lirich die Auftragslage an. 1935 überstieg die Anzahl der Beschäftigten erstmals die 2000er-Marke. Drei Jahre später waren es 5000. Mit einem Kesselrohrwerk dehnte sich Babcock 1937/38 über die Ruhrorter Straße hinaus aus.

Damals war Firmenphilosophie, komplette Dampferzeugungsanlagen möglichst selbst zu erstellen. Und so gab es eine Armaturenfertigung, die Rohrfabrik, ja sogar eine Abteilung für die beim Kunden nötigen Hoch- und Tiefbauten.

Weil eine weitere Ausdehnung des bereits mehrfach erweiterten Werks in Lirich nicht mehr möglich war, wurde noch vor Kriegsbeginn 1939 auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz in Friedrichsfeld (Voerde) ein Zweigwerk errichtet. Dort florierte während des Kriegs der Bau von Druckkörpern für U-Boote. Dabei war das Unternehmen mit Kriegsbeginn dem „Reichskommissar für die Behandlung feindlichen Vermögens“ un­terstellt.

3000 Mitarbeiter wurden zwischen 1939 und 1945 zum Kriegsdienst eingezogen. 500 von ihnen überlebten den Zweiten Weltkrieg nicht.