OBERHAUSEN. . Reem Helou zählt als Bühnen- und Kostümbildnerin zum „Medea“-Team. Nach Deutschland kam die 31-Jährige vor 17 Monaten über die Balkanroute.

  • Dank eines Stipendiums arbeitet Reem Helou an einem Comic ihrer Flucht aus Syrien
  • In Oberhausen stattet die 31-Jährige als Kostüm- und Bühnenbildnerin „Medea“ aus
  • Wenige blieben, um bis heute, unter schwierigsten Bedingungen, im Krieg Theater zu machen

„Comic“ ist vielleicht das falsche Wort, „Graphic Novel“ wohl auch – denn dieses Werk wird ja kein erdachter Bilder-Roman. Reem Helou arbeitet an einer zeichnerischen Erzählung jener 25 Tage, die sie mit einer Freundin im September 2015 unterwegs war. Von Damaskus nach Deutschland. „Diese 25 Tage“, sagt Reem Helou gegen Ende unseres Gesprächs, „beschäftigen mich im Moment mehr als die ersten 30 Jahre meines Lebens“.

Für die „Medea“ ihrer jüngeren Studien-Kollegin Wihad Suleiman kleidet die 31-jährige Kostüm- und Bühnenbildnerin die Exilierten der antiken Tragödie elegant-zurückhaltend. Zumal das lange Gewand der Chor-Stimme Dunja Dogmani wirkt zugleich antikisierend, orientalisch und zeitlos-modern. Reem Helou hatte – noch zu Friedenszeiten in Syrien – 2008 die kleine Hochschule für dramatische Künste in Damaskus absolviert.

Medea und Jason (Janna Horstmann und Omar El-Saeidi.
Medea und Jason (Janna Horstmann und Omar El-Saeidi.

Sie erzählt von einer Theater-Szene, die an den größeren Staatsbühnen einer peniblen Kontrolle unterliegt, und von einer kleinen, „freien“ Szene jüngerer Theatermacher, die sich ihre Aufführungsorte in Werkstätten, Warenlagern, sogar Bunkern suchten. Nur die Oper habe ein Spielplan-System, wie sie es jetzt in Oberhausen kennengelernt hat. Die Staatstheater nennt sie „langweilig“, ohne hohen Stellenwert – die Oper wiederum ausgenommen. Bis heute, im inzwischen siebenten Kriegsjahr, „gibt es immer noch einige, die in Damaskus Theater machen, unter schwierigsten Bedingungen“. Reem Helou verweist auf eine Premiere an einer Staatsbühne erst in der vorigen Woche: „Der Staat will zeigen, dass es noch Kultur gibt.“

Dass ihre Heimat Syrien 2011 keinen „arabischen Frühling“ erleben würde, zeichnete sich allzu bald ab. „Man hofft zuerst, dass der Krieg bald endet“, so beschreibt Helou ihren Zwiespalt. Ende 2013 habe sie erkannt, „dass es aussichtslos ist“. Bereits 2008 hatte sie sich um ein Stipendium bemüht, mit dem sie in Berlin hätte studieren können. Fünf Jahre später war die deutsche Botschaft in Damaskus geschlossen, war Kontakt nur noch in Beirut möglich. „Selbst dieser Weg wurde immer schwieriger.“

16-Stunden-Arbeitstage

Reem Helou hatte sogar überlegt, übers Meer zu fliehen. Ein Freund, der inzwischen in Schweden lebt, hatte ihr die riskante Route empfohlen. Für sie war’s vor allem „zu teuer“. Längst arbeitete die Bühnen- und Kostümbildnerin auch in Kinos und fürs Fernsehen, zeichnete Kinderbücher: alles, um mit 16-Stunden-Arbeitstagen das Geld anzusparen für die Flucht.

Den Entschluss fasste sie schließlich im September 2015 gemeinsam mit einer guten Freundin. „Für sie wurde die Lage immer angespannter.“ Daraus wurden 25 Tage – die meiste Zeit auf der Balkanroute. In Athen wären sie in einen Flieger nach Deutschland gestiegen, standen auch schon vor der Flugzeugtür – als ihre Flugtickets als Fälschungen erkannt wurden. Die freundlich-zurückhaltende Reem erzählt von einem Zornesausbruch, den ein griechischer Polizist ertragen musste.

Der „Chor“ mit Dunja Dogmani und dem Lautenisten Khater Dawa.
Der „Chor“ mit Dunja Dogmani und dem Lautenisten Khater Dawa. © Axel J. Scherer

Griechenland – Mazedonien. Mazedonien – Serbien. Serbien – Ungarn. Ungarn – Österreich. Österreich – Deutschland. Fünf Grenzen mussten die Frauen zu Fuß überwinden. Am schwierigsten war der Weg nach Serbien „nachts, im Regen durch den Wald“, erzählt Reem Helou. „Wir mussten auch noch einen Fluss überqueren.“

Im Hinterland gab es dann Hilfsorganisationen, die den Frauen und Familien in Bussen weiterhalfen. „Für Alte und für Kinder war die Balkanroute viel anstrengender“, betont die 31-Jährige. Außerdem habe ihre Freundin diesen schwarzen Humor: „Wir konnten in allen Situationen zusammen lachen.“ Pointen für den entstehenden Comic lieferte sie gleich mit.

Die Flucht in Bildern zu erzählen, ermöglicht ihr ein Stipendium aus Beirut. Dort wird ihr Werk in arabischer Sprache veröffentlicht. Für drei Jahre hat Reem Helou, nun Dortmunderin, eine Aufenthaltserlaubnis. Und die Chance, in Oberhausen wieder im erlernten Metier zu arbeiten? Die verdankt sie der „Medea“-Autorin und Regisseurin Wihad Suleiman: Sie erinnerte sich an ihre etwas ältere Kommilitonin.