Oberhausen. . Nur am Schluss wird’s zu viel Video in der „Faust“-Inszenierung von Pedro Martins Beja. Die Hauptdarsteller agieren mit mitreißender Intensität.

Er blafft und brüllt und knurrt, schmeichelt und schleimt und wanzt sich ebenso aasig an den Doktor Faust wie an die dafür noch empfänglichere Frau Marthe: Jürgen Sarkiss lässt die Chance, wie sie die Traumrolle des Mephistopheles nun einmal bietet, für keine Sekunde ungenutzt. In der Inszenierung von Pedro Martins Beja gibt das einen drängenden, über weite Strecken des gut dreistündigen Abends mitreißenden Oberhausener „Faust – der Tragödie 1. Teil.“

Die wie postmoderne Spiel-Architektur gezimmerte Bühne changiert im Licht tiefgelegter Neonstäbe und übermannshoher Blütenkelche in einer Vielzahl von Stimmungen, ist mal hohe Warte für den zwischen Verzweiflung und rhetorischer Prachtentfaltung gleißenden Faust Michael Wittes. Mal zitiert Janina Audicks Tragödien-Karussell finsteres Mittelalter (naiv gemalt sieht man eine Nonne einen Teufel zertreten), mal züngelt die rote Folie am Geländer des Treppenaufgangs wie Höllenflammen.

Verzweifelnder Denker und beflissene Doktorandin

Einmal verirrt sich im Verhau der Tunnel, Durchgänge und zugespitzt engen Plätze der streberhafte Famulus Wagner (eine von sechs Rollen für die vielseitige Anja Schweitzer) bis in die Gelehrtenkammer. Aus der Konstellation von verzweifelndem Denker und beflissener Doktorandin hätte noch mehr werden können als ein, zwei Lacher.

Warum Sarkiss’ strotzend viriler Ungeist zur schließlich blutbekleckerten blonden Perücke anfangs auch noch Tutu trägt – geschenkt. Dieser Mephisto mag ganz anders aussehen als die in 80 Jahren zur Gips-Ikone erstarrte Gründgens’sche Vorlage. Aber im klug gestrafften Teufelsritt durch zehntausend Goethe-Verse entfaltet er bezwingende Kraft („die stets das Böse will und stets das Gute schafft“).

Hauptdarsteller geben alles

Wie Satans irdischer Verbündeter in einem Pseudo-Idyll, bevölkert von Treudeutschen in Kittelkleidchen und goldglänzenden Trachtenhosen, erweist sich Moritz Peschkes Valentin: Er trägt ein rotes Kreuz auf der Stirn – macht aber aus Fausts Osterspaziergang einen Aufmarsch der armzuckenden Drohgebärden, den biedermeierlich-grell kostümierten Chor der Bertha-von-Suttner-Gymnasiasten eng um sich gescharrt.

In Lise Wolle als Margarete hat sich Jan Krämers Kamera verliebt – und wird sie und das Publikum erst gegen Ende der drei Stunden durch Übermaß verlieren. Denn ganz überwiegend nutzt Pedro Martins Beja die auf hohe Leinwände projizierten Bilder mit Cleverness. Die drei Hauptdarsteller geben auch vor der Kamera alles – intensiv bis ins gerötete Weiß der Augäpfel.

Bilder einer großen Inszenierung

So bewegt sich, ist der blutige Pakt mit dem Teufel erst einmal geschlossen (per dentaler Hauruck-Operation), Margaretens Tragödie von einer ahnungsvollen Tändelei unter den bunten Blüten-Lampen zur genial gefilmten „Menage a trois­“, die in schnell wechselnder Folge auf je zwei der drei Protagonisten blendet: Faust mit Mephisto, Faust mit Gretchen – Margarete mit Mephisto.

So kündigt sich die Schlussszene im Kerker der (vermeintlichen) Kindesmörderin an. Und diese Szene hätte unbedingt sichtbar auf die Bühne gehört – statt links und rechts auf die Filmleinwände. Wie Lise Wolle den Satz „Heinrich, mir graut’s vor dir“ in Michael Wittes Schulter haucht – das sollte man nicht nur als Kamerabild sehen dürfen.

Sie selbst spricht dann den Satz „Ich bin gerettet“. Vom Himmel hoch orgelt Micha Kaplans effektsichere Musik, die ebenso lange nachhallt wie die Bilder und Sätze dieser großen Inszenierung.