Oberhausen. . Die Vorweihnachtszeit war geprägt von Armut, Krankheit und Wohnungsnot.Viele Säuglinge starben, die Zahl der Tuberkulosekranken stieg an.

Wenn man ein Dach über dem Kopf hat, warm sitzt, genug zu essen und zu trinken bekommt, dann kann die Adventzeit tatsächlich eine der schönsten Zeiten im Jahreslauf werden. Als die Neue Ruhr Zeitung (NRZ) in Oberhausen zu erscheinen begann, schrieb man das Jahr 1946, und in unserer Serie „70 Jahre NRZ“ haben wir uns dem Thema auf verschiedene Weisen genähert. Nun geht es an die Adventzeit – und die war 1946 nicht schön.

Breiten Raum nehmen in den zweimal wöchentlich erscheinenden Zeitungen mit Beginn der kalten Jahreszeit häufiger gesundheitliche Notlagen ein. Und: Klar wird der Zusammenhang zwischen Wohnungsnot, Unter- und Mangelernährung und sich fast seuchenartig verbreitenden Krankheiten.

Am schwersten betroffen – wie in und nach jedem Krieg – sind die Kinder. Die Säuglingssterblichkeit (1939 bei 7,9 Prozent) hatte sich bis Ende November 1946 auf 12,2 Prozent erhöht, die Zahl der Tuberkulosekranken belief sich nun auf rund 2400 (1939: 600). Obermedizinalrat Dr. Stralau sah sich gezwungen, Krankenbetten für bestimmte Erkrankungen zu reservieren (etwa jedes zwölfte Bett von 2114). Im Osterfelder Marienhospital wurde eine Tbc-Station für Kinder eingerichtet.

Zwischen Juni und Dezember 1946 hatte das Gesundheitsamt 15 312 Röntgenuntersuchungen durchgeführt, 5929 Blutsenkungen vorgenommen und in ungenannter Zahl Schul- und Kleinkinder mit Tuberkulinsalbe eingerieben. In den wenigen Mütterberatungsstellen gab es Bestrahlungen aus Höhensonnen, Lebertran und Vigantol zur Vorbeugung gegen die Versteifung von Skelettteilen bei Kindern und Jugendlichen.

Polizei verhaftet den Küchenchef

„Die Krankheitskurve steigt rapide“, titelte die NRZ und verwies auf die schlimme Wohnungsnot: Fast 6000 Personen „müssen noch untergebracht werden“, hieß es, und von diesen lebten etwa 1500 in Bunkern, Kellern und ähnlichen Notunterkünften. Bei gleichzeitiger Mangelernährung waren die wöchentlich 35 neuen Hungerödeme kein Wunder. Der Küchenchef einer Gaststätte hatte es trotz allem geschafft, bei seinem Arbeitgeber unter anderem 25 Kilo Fett, Gebäck, Puddingpulver, 1350 Zigaretten und eine Flasche Maggi zu klauen. Die Polizei schnappte ihn und behielt ihn gleich da.

Es gab Spenden aus der Schweiz, wie sich vielleicht noch Kinder der Jahrgänge 1941 bis 1953 erinnern. Für sie waren zweimal wöchentlich für je eine Stunde Suppenküchen in den Schulen eingerichtet: „Eßkarte, Eßnapf und Löffel sind mitzubringen“, hieß es zu der guten Gabe der „Schweizer Volksspende“. Aber es gab auch Eigenhilfe. Die Arbeiterwohlfahrt war dank der Frau des späteren SPD-Landtagsabgeordneten Heinrich Jochem aktiv. Sie hatte im Zementwerk der Hütte (wo Wohnungslose untergebracht waren) einen Kindergarten für 100 Kinder ins Leben gerufen, und als eine Art „Husarenstück“ galt, dass sie zu Beginn der Adventzeit zwei 300-Liter-Kochkessel organisiert hatte, in denen Suppen – zwar dünn, aber warm – für die Bewohner der Bunker in Lirich, in der Mittelschule und im Knappenviertel bereitet wurden.

Man kann es sich 2016 nicht vorstellen: Anfang Dezember 1946 inseriert eine Frau, ihre Geldbörse mit Personalausweis verloren zu haben, Anschrift: „Mittelschulbunker, Zelle 27.“