Hans-Dieter Reuter und 109 weitere Mietparteien müssen bis Ende 2009 ihre GWG-Wohnungen in Sterkrade räumen. Wegen Sicherheitsrisiken ist der Abriss geplant.

Luchsstraße in Sterkrade: Die Fassaden der Hochhäuser bröckeln, kein Blumenschmuck auf den Balkonen. Die Eingangstür steht offen, die Briefkästen vergammelt, die Wände im Treppenhaus beschmiert. Im engen und düsteren Fahrstuhl treffen wir auf zwei junge Frauen. „Hast du schon eine neue Wohnung gefunden?” „Nein, wie soll das so schnell gehen”, antwortet die andere südländischen Typs. Auf der fünften Etage steigen wir aus. Zitronengeruch schlägt uns entgegen. Das Treppenhaus wird geputzt. Hans-Dieter Reuter steht an seiner Wohnungstür. Er erwartet uns. Blitzblank erstrahlt die 82 qm große Wohnung, die Wände frisch tapeziert, die Decken schneeweiß.

Der 69-jährige Witwer wohnt seit Februar 1973 hier, seine drei Söhne wurden hier groß. In der guten Stube stehen Familienfotos von den Kindern, und Enkeln. Ende nächsten Jahres wird er die Wohnung räumen müssen. Der Eigentümer, die Gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft Sterkrade, hat den Abriss beschlossen, plant an selber Stelle altengerechte Wohnungen (WAZ v. 9. April). Bei einer Mieterversammlung am 7. April in der Christuskirche wurden die Bewohner informiert. „Wir waren total überrascht”, sagt Hans-Dieter Reuter. „Das was gemacht werden muss, war klar. Aber Abriss? Ich krieg das in meinen Kopf nicht rein. Was ist denn da gelaufen in den letzten Jahren?” Der ehemalige Arbeiter bei einer Mülheimer Gabelstaplerfirma ist enttäuscht. Enttäuscht wie viele andere Ältere in den betroffenen Häusern Luchs- und Dachsstraße.

110 Familien müssen gehen. „90 Prozent von ihnen Nichtdeutsche und ALG II-Empfänger, die anderen eben Alte wie ich, die nicht mehr umziehen wollten”, berichtet Reuter. Bis 2009 sind die Wohnungen noch sozial gebunden. Reuter musste lange Zeit eine Fehlbelegerabgabe zahlen.

Damals, vor rund 34 Jahren, waren die Hochhäuser modern, ja ein städtebauliches Highlight, Zukunft. Die ist jetzt vorbei. „Ich lass mich doch nicht wie ein Stück Vieh von einem Stall in den anderen treiben”, sagt Reuter ganz ruhig – äußerlich. „Ich bin hier geblieben, weil ich mit meiner Frau hier gelebt habe.” Erinnerungen werden wach. „Aber was nützt das, wenn ich protestiere, die anderen protestieren? Es ändert ja nichts.” Hans-Dieter Reuter gibt zu, dass die Häuser verwohnt sind, kann aber nicht begreifen, dass im vergangenen Juli noch großzügig renoviert wurde – nach Sturmschäden von Kyrill. Vielmehr aber denkt er an die Mitbewohner: „Das wird für viele schwer, neue preiswerte Wohnungen zu finden. Manche junge Familien tun mir richtig leid.” Der hohe Migrantenanteil unter den Nachbarn stört Reuter nicht, auch wenn „die Polizei einigermaßen gut beschäftigt ist”.

Wohin er gehen wird, weiß der Witwer noch nicht: „Ich lasse das auf mich zukommen. Noch habe ich nichts Schriftliches von der GWG. Ich werde meinen Balkon vermissen und die Aussicht auf die Stadt, das Silvesterfeuerwerk. Ich will nicht vor Hauswände gucken”, sagt der in Gelsenkirchen geborene Oberhausener und hält sich offen, ob er überhaupt in der Stadt bleibt. Vermissen würde er sie. „Gleich vor der Haustür ist das Einkaufszentrum, die Bushaltestelle. Ich werde nicht jünger.”