Der mittlerweile pensionierte Pfarrer Ulrich Samse schreibt nachdenklich über seine Reiseeindrücke: „Dresden, Frauenkirche. Früher Abend, Nieselregen, Lichtreflexe auf dem nassen Pflaster. Feuchte Kühle auf dem Vorplatz, heimelige Beleuchtung im Kirchenschiff. Im Dunkel davor das hoch aufragende Lutherdenkmal – unübersehbar, mahnend.
Fast unmerklich rücken Polizeiwagen an. Plötzlich Bewegung um das Denkmal herum. Dunkle, martialische Gestalten nehmen Aufstellung. Ein Megaphon röhrt über den Platz und überschwemmt die Einheimischen und die Touristen mit reißerischen Parolen: „Deutschland den Deutschen!“ - Ausgrenzung, Abschottung – wie bekannt. Die Parolen drohen Alltag zu werden. Mich schaudert.
Und dann: „Auch Luther hat den Islam und das Judentum bekämpft…!“ Es durchzuckt mich: da ist leider was dran. Aber Luther als Protagonist von Pegida!? Dazu die gespenstische Szenerie: das Lutherdenkmal umringt von lautstarken Pegida-Anhängern! Schauerlich! Als lutherischem Theologen sträuben sich mir die Nackenhaare: tumbe Sprüche, Geistlosigkeit, Verhetzung! Die äußere Kälte greift auf mein Inneres über. Ohnmächtig muss ich in der Menge den akustischen Müll über mich ergehen lassen. Kann hier nichts gegen diesen Ungeist geschehen?
Ein Familienvater mittleren Alters läuft mit Gesten des Unwillens vorbei. Unüberhörbar wendet er sich an seine halbwüchsigen Kinder mit einheimisch-sächsischem Dialekt: „Der letzte, der so eine Sch … von sich gegeben hat, war der mit dem Klumpfuß!“
Ich stutze: der Mann kennt Goebbels und seine Verführungskünste? Und widersteht?
Während ich mich noch wundere, öffnet sich die Flügeltür der Frauenkirche, eine Schar von Menschen entrollt vor dem hellen Licht des Kirchenschiffs ein Plakat mit der Aufschrift: „Lasst euch nicht beirren!“
Auch Alltag. Mitten in Dresden. Zeichen der Hoffnung? Nachdenklich verlasse ich den Platz …“.