In dem Buch „Ich war Hitlerjunge Salomon” schildert Sally Perel sein Doppelleben während des Dritten Reiches. Wie er als Jude den Krieg überlebte, erzählt der 83-Jährige nun den Schülern des Elsa-Brändström-Gymnasiums

Mucksmäuschenstill sitzen die Zuhörer in der prall gefüllten Aula des Elsa-Brändström-Gymnasiums. Die rund 350 Oberstufen-Schüler hängen wie gebannt an den Lippen von Sally Perel, dem ehemaligen Hitlerjungen Salomon. Im ruhigen, aber bestimmten Tonfall erzählt der 83-Jährige von seinem grotesken Doppelleben im Dritten Reich: „Ich überlebte den Massenmord an meinem Volk versteckt in der Haut des Feindes.”

Getarnt als reinrassiger Deutscher verschleierte Perel seine jüdische Herkunft und lebte unerkannt inmitten der Hitler-Jugend. So entkam er der Gaskammer, hatte jedoch ständig die Angst im Nacken, aufzufliegen. „Ich ging jeden Tag schlafen mit dem Gebet, nicht entdeckt zu werden.”

Mit seiner schonungslosen Offenheit fesselt Perel die Schüler, nimmt sie mit auf eine bedrückende Reise in sein zerrüttetes Innenleben. „Ich lebte diese Jahre in zwei verschiedenen Welten, die niemals eins werden konnten”, beschreibt er die tiefe Spaltung seiner Seele. Bis an die Grenze des Selbsthasses brachte ihn die NS-Propaganda, die Tag für Tag „wie Gift ins Gehirn getropft wurde”. Perel: „Ich hatte Momente, in denen ich mich fragte, warum ich als Jude geboren worden bin.”

Die nationalsozialistischen Lehren haben sich so tief in sein Unterbewusstsein gebrannt, dass sie ihn bis heute verfolgen. „Mein ganzes Leben muss ich mich mit dieser Nazi-Doktrin auseinandersetzen.” Derartige Brückenschläge von der Vergangenheit in die Gegenwart ziehen sich wie ein roter Faden durch Perels Vortrag. „Die Neonazis in Dortmund übernehmen den Hass, als ob sie nichts aus der Geschichte gelernt hätten”, kritisiert er den jüngsten Aufmarsch von Rechtsradikalen in der Revierstadt. Auch US-Präsident Bush bekommt – nicht in einem rechtsradikalen Zusammenhang stehend – als unverbesserlicher Kriegstreiber sein Fett weg. „Wir wissen immer nur, wie ein Krieg beginnt – aber nicht, wie er aufhört”, so der 83-Jährige.

Trotz allen Schreckens während Hitlers Herrschaft verbindet der in Peine geborene Perel auch schöne Erinnerungen mit Deutschland. „Wir hatten göttliche Kinderjahre, ohne Handy und Pokemón”, erntet er einige amüsierte Lacher. Umso stärker prägte ihn daher „das traumatische Erlebnis meiner Kindheit”: als sein Schulleiter, ein „Dreiviertel-Gott”, ihn aufgrund seiner jüdischen Wurzeln aus der Schule schmiss. „Heute würde ich ihn fragen: Bin ich wirklich mit so einer zentnerschweren Last geboren?”

Einen bleibenden Eindruck hinterlässt der NS-Zeitzeuge angesichts seiner bewegenden Schilderungen bei den Schülern. „Es ist dramatisch und sehr bedrückend, wie intensiv die Gruppendynamik gewesen sein muss, dass sie heute noch nachwirkt”, sagt der 18-jährige Dominik Saobke. „Man kann sich gut hineinfühlen in die Empfindungen, die er damals hatte”, findet der ebenfalls 18-jährige Stephan Kamps. So bewahrheitet sich der Spruch von Star-Regisseur Steven Spielberg („Schindlers Liste”), den Perel zu Beginn zitierte: „Zeitzeugen sind die besten Geschichtslehrer.”