Oberhausen. Michael Kerstgens zeigt „Arbeitskämpfe“ in Fotos aus Barnsley und Rheinhausen. 60 bewegende Bilder auf der Empore im LVR-Industriemuseum.

  • Ein Sterkrader Fotograf ist im Kohlerevier von Südwales aufgewachsen
  • Als Student kehrte Michael Kerstgens im Winter 1984 nach Großbritannien zurück
  • Den einjährigen Kumpel-Streik sieht er als „Blaupause“ für den Ausstand in Rheinhausen

Im Siedlungshäuschen von Barnsley meldete sich wöchentlich Oscar-Preisträgerin Vanessa Redgrave am Telefon. Den Streikenden in Rheinhausen machte Herbert Grönemeyer seine Aufwartung. Michael Kerstgens allerdings geht’s nicht um Glamour, sondern um Solidarität. „Arbeitskämpfe“ heißt die Ausstellung mit rund 60 Fotografien auf der Empore im LVR-Industriemuseum Zinkfabrik Altenberg.

Den ersten Blick fängt die farbige Nahaufnahme eines prächtig bestickten Gewerkschafts-Banners mit dem Slogan „Only the strong survive“. Mehr als ein „Überleben“ ist es nicht, was der heute 55-jährige Sterkrader 30 Jahre nach dem großen Streik aller englischen Pits sah. Michael Kerstgens war auch 1984, „gerade im dritten Semester“, dabei. In Barnsley, Yorkshire, einquartiert beim Aktivisten-Ehepaar Marsha und Spud Marshall gelangen ihm Aufnahmen, die einem Pressefotografen wohl unmöglich gewesen wären.

Heranreitende Polizei und zuschlagende Streikposten

Der junge „Kumpel“, als den die Marshalls ihren deutschen Gast vorstellten, hat walisische Wurzeln: Als technischer Kaufmann für Thyssen arbeitete sein Vater 14 Jahre im Revier von Südwales. Michael Kerstgens ist im Küstenstädtchen Llanelli geboren.

Als Student trat er also „in die großen Stapfen meines Vaters“, nachdem in der Essener Zeche Carl ein britischer Bergmann vom Arbeitskampf berichtet hatte. Der deutsche „Lad“ an der Seite von Spud Marshall fotografierte nicht nur die dramatische Action des bereits acht Monate währenden Streiks – nicht nur die heranreitende Polizei oder die zuschlagenden „fliegenden“ Streikposten. „Es gab einige Pressebilder, die sich einbrannten“, sagt Kerstgens. Wie jenes des blutüberströmten Gewerkschaftsbosses Arthur Scargill.

Der damals 24-Jährige sah und fotografierte anderes: die Suppenküche im Gewerkschaftshaus. Die Streikenden, die Kohle für ihre Reihenhäuser aus einer Abraumhalde klauben – es ist auch das Titelbild des Buches „Coal not Dole“ („Kohle statt Stütze“). Und Michael Kerstgens spricht voller Bewunderung von Marsha Marshall, einem rhetorischen Naturtalent. Sie begründete in Barnsley die Organisation der Bergarbeiterfrauen.

Wenige Farbbilder

Durchgesetzt hat sich eine andere Frau, die Krämerstochter Margaret Thatcher. Darüber, dass die Pits schlossen – dass selbst die Reste der Industriekultur in England rigoros abgeräumt wurden – sei Marsha „nie hinweg gekommen“, sagt der Fotograf. Erst kürzlich hatte er ein TV-Porträt über die Aktivistin entdeckt: „A Way of Life“ von 1989 ist ebenfalls in der Ausstellung zu sehen.

30 Jahre später – es sind die wenigen Farbbilder dieser Ausstellung – war Michael Kerstgens erneut in Barnsley: Er fotografierte Spud Marshall, den Witwer, der sich den Todestag seiner Marsha auf die Brust tätowierte, dazu den Satz: „Simply the Best“. Der teilnehmende Fotograf sah übrigens im verzweifelten englischen Streik „die Blaupause“ für den Rheinhausener Arbeitskampf wenige Jahre später