2001 war das Startjahr für die Möglichkeit einer anonymen Geburt im St. Clemens Hospitale Sterkrade. Sieben Mütter haben dies bisher in Anspruch genommen. Verein Binsenkörbchen, Hospital und Jugendamt kooperieren.
Da war er wieder, ein kräftiger Fußtritt in die Bauchhöhle, begleitet von einer Welle von Muttergefühlen. Schnell schiebt sie den Hauch von Glück beiseite. Routiniert mittlerweile. Seit acht Monaten trägt sie das Baby in sich. Eine Beziehung hat sie noch nicht zu ihrem Kind aufgebaut. Sie kann nicht. Sie darf nicht. Und doch plagt sie immer wieder die Frage, was wäre wenn . . .
2001 war das Startjahr für die Möglichkeit einer anonymen Geburt im St. Clemens Hospitale Sterkrade. Sieben Säuglingen wurde mit dieser Alternative zur Babyklappe die Chance auf ein Leben nicht verwehrt. „Seit fünf Jahren kooperieren wir mit dem Verein Binsenkörbchen, der in engem Kontakt zum Jugendamt steht”, sagt Peter Tischmann, Geschäftsführer des St. Clemens. „Die kümmern sich, je nachdem wann sich die Schwangere bei uns oder bei Binsenkörbchen meldet, um Mutter und Baby. Das Jugendamt sucht mögliche Adoptiveltern aus.” Je früher die Mutter Hilfe in Anspruch nimmt, desto schneller könne das Amt ein Adoptionsverfahren einleiten.
Jedes Kilo, das Monat für Monat hinzukommt, macht den Hass auf ihren Körper intensiver. Heißhungerattacken ignoriert sie. Mütter mit dicken Bäuchen oder Kinderwagen erst recht. Dabei wäre sie so gerne zum dritten Mal Mama geworden. Eine Abtreibung wäre für sie nie in Frage gekommen. Nur fühlt sie sich nicht in der Lage, noch ein Kind zu erziehen, zu versorgen. Es fehlt ihr nicht nur die Kraft, sondern auch das Geld.
Gepflegte, intelligente Frauen, die ihre Ehe nicht aufs Spiel setzen wollten, seien es, die sich für die anonyme Geburt entschieden hätten, so Ulrike Altenhöner. Aber auch Frauen, die sich die Betreuung eines weiteren Babys aus psychischen und/oder physischen Gründen nicht vorstellen können. Die Leiterin der Abteilung Pädiatrie/Gynäkologie kann nachvollziehen, wie schwer dieser Schritt für eine Frau ist. „Diese Entscheidung ist auf keinen Fall einfach, vor allen Dingen, weil sie uns vertrauen müssen, dass wirklich alles anonym abläuft.”
Sie hatte sich schon immer Kinder gewünscht, schon als kleines Mädchen; einen Ehemann, ein Haus mit Garten, in dem die Kinder tollen könnten. Das ist für sie mittlerweile nicht mehr als ein Märchen. Als sie mit ihrem zweiten Sohn schwanger war, verließ ihr Mann sie. 25 Jahre alt, alleinerziehend, Hartz IV. Mit dem neuen Freund sollte alles anders werden. Jetzt ist sie am Boden zerstört.
„Man sieht nicht gleich jeder Schwangeren an, dass sie schwanger ist”, sagt Ulrike Altenhöner, „der Verdrängungsmechanismus funktioniert gut – bei der Frau, beim Partner oder den Eltern.” Dass werdende Mütter Angst haben, dass ihre Schwangerschaft öffentlich wird, merke man daran, „dass sie direkt im Kreißsaal anrufen, abends, wenn sie sich in Sicherheit wiegen und hier Ruhe einkehrt. Oft führen wir mit den Patientinnen einstündige Aufklärungsgespräche”.
Zitternd wählt sie die Nummer des St. Clemens Hospitales. Sekunden später meldet sich Schwester Monika. Ihre Stimme wirkt beruhigend. „Wenn Sie möchten, begleiten wir Sie vor und nach der Geburt. Sie haben acht Wochen Zeit, das Kind doch zu behalten”, klärt sie die Frau auf, die sich mit „Lena Busch” gemeldet hat. „Sie melden sich bei uns mit einem fiktiven Namen. Wir geben dann an die Patientenverwaltung weiter, dass es eine anonyme Geburt ist. Ihr Name wird nach kurzer Zeit aus der Krankenakte gelöscht.”
Wie im Film rauscht die Geburt an Lena Busch vorbei. Sie ist allein gekommen und wird auch alleine gehen. Am Abend noch. Benommen beobachtet sie die Hebammen und Ärzte. Einen Namen hat sie sich für das Kind nicht überlegt; es war noch nie ihres und wird nie ihres sein. Bewusst hat sie sich auch dagegen entschieden, sich das Baby auf der Säuglingsstation anzuschauen. Ein durchdringender Schrei unterbricht ihre Gedanken. Der erste Schrei, der sie bis heute in ihren Träumen verfolgt und sich bis in alle Ewigkeit in ihr Gedächtnis gebrannt hat.