Oberhausen. . Im Lkw auf Kunstflughöhe Null: Das Kunstprojekt „Truck Tracks Ruhr“ zeigt einen unverstellten Blick aufs Ruhrgebiet. Die klassischen Sehenswürdigkeiten gehören nicht dazu.
Ein Hörstück? Eine Stadtrundfahrt? Ein Musikvideo? Eher ‘ne bunte Tüte Kunst von der Bude, eine (schweißtreibende) Achterbahnfahrt für alle Sinne: Die Truck Tracks Ruhr feierten am Donnerstagabend in Oberhausen Premiere. Eine Jungfernfahrt: Da steht der LKW, der 49 Fahrgästen einen Tribünenplatz bietet. Der Blick richtet sich auf die Seitenwand, die Projektionsfläche ist. Es geht schaukelnd zu Attraktionen, die keine sind. Sondern die im Revier von Künstlern geliebten Nicht-Orte: Brache, Einkaufszentrum, Muckibude, Busbahnhof, Müllverbrennungsanlage, Parkplatz.
Dort wird für je fünf Minuten ein Hörstück gespielt, die Fahrgäste gucken heraus – und die Welt blickt zurück. Sieben Künstler haben diese Stücke erarbeitet. Start der Oberhausener Tour: die Müllverbrennungsanlage. Hier erklingt die Stimme einer jungen Frau, die grübelt, welche Dinge ihr was bedeuten und mit welchen sie sich umgibt. Bei der letzten Station am Hauptbahnhof reden eine 94-Jährige und eine 100-Jährige über Leben und Tod: „Er war heute morgen schon mal da, aber da waren Sie noch nicht hier“, sagt die fast hörbar demenzkranke Seniorin.
Nicht nur da bringt sich die Wirklichkeit ins Spiel. Kurz nach dem Stopp vor dem Chinarestaurant, wo die Gäste hinter den Fensterscheiben mindestens so irritiert und neugierig auf die unerwarteten Gaffer im LKW starren wie umgekehrt, wird eine Radioreportage eingespielt, in der sich chinesische Investoren ankündigen.
Das Niemandsland sehen
Kurz darauf, bei der Brache, beschreiben Kinder, wie sie dieses Niemandsland sehen: Man könnte Häuser drauf bauen, es könnte regnen... und dann rollt plötzlich ein realer Containergüterzug durchs Bild: „China Shipping“ steht auf den Transportboxen und jeder hat den Satz aus der fiktiven Reportage im Ohr: „Die Seidenstraße endet demnächst in Oberhausen.“
Neben Vergänglichkeit und Zukunft spielt die Vergangenheit mit: Während der Truck durchs Centro rollt, wird innen eine Fahrt durch die Oberhausener Innenstadt vorgegaukelt, in der Sonnenstudios und Ein-Euro-Shops übrig blieben. Vorm Centro erzählt ein ehemaliger Mitarbeiter von der Gute-Hoffnungs-Hütte, die hier stand. Vor dem Fitnessstudio berichtet ein 30-jähriger Arbeitsloser, wie er sich stählt, weil nur die Starken auf dem Arbeitsmarkt eine Chance haben.
Sieben Spielorte, sieben Szenen einer Stadt
So entstehen mit den sieben Spielorten sieben Szenen einer Stadt. Wer mit den Truck Tracks unterwegs ist, bekommt Stadt, Realität und Deutung in einem. Wo das Theater auf stationärer Bühne eine künstliche Wirklichkeit schafft, wird hier die rollende Tribüne genutzt, um die Wirklichkeit künstlerisch zu deuten, zu bereichern. Und ganz nebenbei: Allen künstlerischen Loopings und akustischen Loops zum Trotz: Das ganze ist keine abgehobene Veranstaltung.
- Truck Tracks-Touren bis 10. Mai in Oberhausen, es folgen Recklinghausen (Juni), Duisburg (August), Dortmund (Oktober), Mülheim (Dezember), Bochum (Januar 2017), Essen (April 2017). Karten: 16 Euro. www.trucktracksruhr.de