Oberhausen. . Mit dem Schwerkraft-Verlag handelt Carsten Reuter global: von Amerika bis China. Die Marke für anspruchsvolle Strategiespiele residiert in Königshardt.
So sieht globalisiertes Arbeiten aus: Die Datenwolke verbindet das Büro in einem Königshardter Reihenhaus mit Sandy City im US-Mormonenstaat Utah und Sitz des Red Raven-Verlags; sie erreicht in Echtzeit die Lizenzpartner von Stronghold Games, deren Brettspiele gerne bis in fremde Galaxien durchstarten. Und der digitalen „Cloud“ entströmen Aufträge für die Druckereien im nahen Bayern und im fernen Shanghai: Dort materialisieren sich dann die schön gestalteten Brettspiele von den „Winzigen Weltreichen“ bis zu „Katakomben“, einem zweieinhalb Kilo schweren Ausstattungs-Trumm mit 148 Holzscheiben und drei Stickerbögen plus Dutzender Aktions-Karten.
Aus Historie und Horror-Literatur
Carsten Reuter kennt sich eben auch mit Übersee-Frachtdokumenten aus. Der Neu-Oberhausener ist der Verleger und einzige hauptamtliche Mitarbeiter von „Schwerkraft“, untertitelt als „der Spieleverlag für anspruchsvolle Strategiespiele“. Er führe „einen kleinen Verlag – keinen Kleinverlag“, betont der gelernte Kaufmann. Der Unterscheid? Mit Kleinverlagen meint Reuter jene Hobby-Unternehmen, die Spiele-Erfinder nach Feierabend betreiben – meist, um jeweils ihre eine eigene Kreation an den Kunden zu bringen.
„Jeder Spielbegeisterte bastelt an solchen Projekten“, meint der Verleger verständnisvoll. Sein „Schwerkraft“-Ansatz ist ein anderer: Der frühere Inhaber eines Spiele-Geschäfts in seiner Heimatstadt Moers führt einen „Lokalisierungs-Verlag“, wie er sagt: Von derzeit neun Partnern in den USA erwirbt Carsten Reuter die Lizenzen, um deutschsprachige Ausgaben herstellen zu lassen.
Ein amerikanischer Verlag war vor drei Jahren an ihn herangetreten, den gut vernetzten Ladeninhaber. „Warum fragt der mich?“, fragte sich Reuter – und wagte den Start. Zunächst wollte er seine eigene Vorliebe für historische Spiele bedienen. Er klappt als Beispiel das lang gestreckte Spielbrett von „1775“ auseinander: Detailliert bis zur Stärke der hessischen Söldner und der indianischen Hilfstruppen lässt es auf einer Karte der amerikanischen Ostküste die Armeen des Unabhängigkeitskrieges aufmarschieren.
Erklär-Videos und Brettspieler-Treffen
Der junge Verlag, der sein Warenlager übrigens in Langenfeld im Kreis Mettmann unterhält, informiert über sein Spiele-Sortiment ausführlich auf www. schwerkraft-verlag.de. Wert legt Carsten Reuter auf die eigenen Erklär-Videos: „Ich packe jedes Spiel für den Kunden aus.“ Nach fünf bis zehn Minuten wisse der Spieler Bescheid.
Der von Petra Höpfner ins Leben gerufene Offene Brettspielekreis, dem Carsten Reuter das „Katakomben“-Spiel vorstellte, trifft sich heute wieder – wie an jedem dritten Mittwoch im Monat – von 19 bis 22 Uhr im Ev. Gemeindezentrum Königshardt-Schmachtendorf, Forststraße 71. Neue Mitspieler sind stets willkommen.
Den „pädagogischen Mehrwert“ hat der Spieleverleger dann aber doch hintan gestellt. Für ausschließlich historische Spiele sei der Kundenkreis leider zu klein. Faszinierende Lern-Erlebnisse sind aber nach wie vor Teil seines Programms: „Kanban“, untertitelt mit „Automotive Revolution“, führt in das komplexe Innenleben einer modernen Auto-Fabrik: Die Spieler können von der Werkbank aufsteigen ins Management – wenn sie die Produktions-Prozesse optimieren.
Im Produktions-Prozess des kleinen deutschen und der ungleich größeren amerikanischen Verlage ist Carsten Reuter – „bei den Autorein, die ich kenne“ – inzwischen schon früh eingeschaltet in die Spiele-Werdung. Das heißt, er kann eingreifen bei logischen Fehlern im Regelwerk. Es heißt auch, die Produktionsaufträge an die eigentlichen Spielzeugteile-Fabriken werden kostengünstig abgestimmt. Für den größeren US-Verlagspartner bedeutet das ein bis zwei Monate Zuwarten auf die deutsche Übersetzung.
Diesen Werkteil übernimmt ein Stab spezialisierter Übersetzer. „Im Deutschen werden schnell die Texte länger“, weiß der Schwerkraft-Verleger. „Kleinere Buchstaben auf den Spielbrettern und Steinen sind aber nicht akzeptabel.“ Gefragt ist also die Kunst der knackig-treffenden Formulierung.
Dabei wagt sich der junge Verlag sogar an „literarische“ Spiele wie „Eine Studie in Smaragdgrün“: Es beruht auf der preisgekrönten Kurzgeschichte von Neil Gaiman, in der er die Welten von Sherlock Holmes und H.P. Lovecraft mit erzählerischer Kraft zusammenführt. Science-Fiction-Horror mit detektivischem Spürsinn in den Kulissen des 19. Jahrhunderts: mutig
Wöchentlich kommen neue Autoren-Angebote
Wie steht der frühere Spiele-Händler in seiner neueren Rolle als Verleger zum Einzelhandel mit den „Spielwaren“ für Erwachsene? „Ich brauche den Handel, um Leute zu erreichen, die mich noch nicht kennen.“ Oft sei es aber umgekehrt, weiß Carsten Reuter aus Anfragen: Dann meldet sich ein Fachhändler, weil ein Kunde gezielt nach einem Schwerkraft-Spiel gefragt hatte.
„Die Läden werden weniger“, konstatiert der Verleger. Er weiß um den sogenannten „Showroom“-Effekt: Viele lassen sich ein Produkt im Geschäft zeigen – und kaufen dann ein paar Euro günstiger online. „Überleben werden jene Fachhändler, die einen Mehrwert anbieten.“ Spieleabende beispielsweise.
Dafür hatte Carsten Reuter einst selbst in seinem Geschäft in Moers gesorgt. Und in Oberhausen präsentierte er – ausnahmsweise, als neuer Nachbar in Königshardt – für den Offenen Brettspiele-Kreis im Evangelischen Gemeindezentrum den Jumbo unter seinen Brettspielen: „Katakomben“ fordert alle Talente eines passionierten Analog-Spielers. Es ist Rollenspiel, Strategiespiel und – weil man die Spielsteine schnippst – ein mit Banden ausgestattetes Geschicklichkeitsspiel.
Der Verleger selbst steht bei „Katakomben“ vor einer weiteren Herausforderung – der Qualitätskontrolle: „Bei 147 Holzteilen muss in jedem Karton die Mischung stimmen.“ Und in der hohen Qualität – von der pfiffigen Idee bis zur schönen Gestaltung – sieht der Verleger seine Marktchance.
Um den gelungenen Mix im Schwerkraft-Programm muss sich Carsten Reuter weniger Sorgen machen: Mit drei Lizenzen hatte er in seinem ersten Unternehmensjahr angefangen, dann waren’s elf. Im dritten Jahr werden sich die Regale hinter seinem Schreibtisch weiter füllen: „Inzwischen bekomme ich wöchentliche Angebote von Verlagen und Autoren.“ Man ist schließlich kein Kleinverlag.