Oberhausen. Bei ihrem einzigen NRW-Konzert lassen The Prodigy vor 6500 Fans in Oberhausen die Trommelfelle vibrieren. Einige Instrumente gehen dabei zu Bruch.
Eskalation ist etwas, was in der Jugendsprache das höchste Gefühl der Feierwütigkeit beschreibt: Dass ausgerechnet einige Herren, die mit strammen Schritten auf die 50 zugehen, diesen Begriff klirrend übertönen, unter Strom setzen und letztlich pulverisieren, dürfte selbst bei Nostalgie-Genervten respektvoll die Augenbrauen hochziehen lassen.
Es sind nur Minuten vergangen und ein Großteil der 6500 Fans in der Oberhausener König-Pilsener-Arena ahnt schon, was ihm blüht: Bereits die Vorband sorgt am späten Freitagabend beim im Innenraum rappelvollen und auf den Rängen recht spärlich besuchten Konzert der britischen Genre-Rebellen The Prodigy dafür, dass einige Fans hektisch zu den Taschentuch-Verpackungen greifen. Papierkügelchen landen in empfindlichen Gehörgängen. Die US-amerikanische Hip-Hop-Formation Public Enemy spielt die Ohren für einen denkwürdigen Arena-Auftritt warm.
Public Enemy bringen die Ohren auf Betriebstemperatur
Dass Public-Enemy-Frontmann Flavor Flav diesmal lieber als Harlekin statt mit seiner markanten Uhr als Umhängekette erscheint, signalisiert: Was auf den Wecker geht, kann heute sowieso draußen bleiben. So ignorieren im versteckten Getümmel und ungesehen vom Sicherheitspersonal einzelne aus der Arm-in-den-Himmel-reck-Fraktion sogar das Rauchverbot - „Fight The Power!“ Ein Stück Rebellion gibt es diesmal zum Einheizen.
Das Aufbegehren ist an dieser Stelle klug gewählt, einige Minuten später hätte es kaum einer auch nur annähernd verstanden. The Prodigy treiben ihren Fans den Tanz-Schweiß auf die Stirn. „Breathe“ vom 1997er-Album „The Fat of the Land“ trifft direkt in die Magengrube und lässt den Innenraum durchmischen, abtanzen und durchdrehen. Die Schweißperlen tropfen – dufte, Düfte.
In den 1990er-Jahren halfen die experimentierfreudigen Briten, die elektronische Musik vom Einheitsbrei zu entschlacken. Daher kann die Band um Keith Flint, Liam Howlett und Keith Palmer einer regelrechten Fußball-Mannschaft von Genre zugeordnet werden. House, Acid, Rock, Punk, Alternative, Big Beat – treffend und doch irgendwie weit daneben. The Podigy leben seit 25 Jahren zwischen gefärbten Haarkanten und Rastalocken.
Echte Gefühle gibt es bei The Prodigy im Innenraum
Wer sich vorab einen der Stehplätze sichern wollte, musste früh verzagen - ausverkauft: So stehen immer wieder Tanzwütige beim Sicherheitspersonal und bitten vergeblich um Einlass zum Innenraum. Das ist nicht verwunderlich: The Prodigy auf Sitzplätzen ist wie die Beatles ohne Pilzköpfe oder Nana Mouskouri ohne Hornbrille. Und so sehen die Platzkartenbesitzer erwachsene Männer und Frauen abgekämpft, teils des T-Shirts entledigt, die Treppenstufen herauf und herunter spurten. Nicht immer gelingt dies so recht, so dass regelmäßig ein klebriger Belag aus Kaltgetränken über die Treppenstufen fließt. Es herrscht eine rasante Stimmung zwischen Abi-Treffen und Underground-Club.
Scharfe Stroboskop-Lichter durchtrennen die Dunkelheit, während die erste Zuschauer-Reihe auf das gegenseitige Wachrütteln während des gesamten Konzerts nie verzichtet. Mikrofon-Akrobat Keith Flint zuckt noch immer mit den Schultern wie ein Boxer, der sich vor dem Kampf aufheizt, bevor er in Protzposen die Muskeln spielen lässt oder sich wie in einem Arcade-Karate-Videospiel mit Band-Kollegen in Lufttritten misst.
Viel Dynamik, schwache Spielzeit
Bewegte Zeiten erlebte ja auch die Band: Das Musikvideo von „Smack My Bitch Up“ wurde aufgrund der Thematik um Gewalt, Sex und Drogenkonsum 1997 in den USA und England verboten und gehört heute zu den umjubelsten Titeln. Gleicher Beliebtheit erfreut sich „Firestarter“. Das aktuelle Album „The Day is my Enemy“ landete in Deutschland und England im laufenden Jahr weit vorne in den Charts – und so zeigt auch der Tourauftritt in Oberhausen: Die Band lebt nicht nur in ihrer Vergangenheit.
Es ist ein lautes, teils markerschütterndes Konzert, das kaum etwas an Dynamik vermissen lässt. Manche E-Gitarre muss nach brachialen Flugeinlagen mehr als nur Schrammen einstecken. Die Spielzeit von 80 Minuten enttäuscht dagegen – sie ist mit dem aufdiktierten Schweißperlen-Takt zumindest begründbar.
The Prodigy in Oberhausen