Oberhausen. . Peter Driessen feiert 50-jähriges Bühnen-Jubiläum und erinnert sich der „kreativsten Dekade“. Blues hat für den Gitarristen bis heute heilende Kraft.

Wenn ein Musiker seit einem halben Jahrhundert den Blues hat – ist das nicht furchtbar traurig? Peter Driessen macht definitiv nicht diesen Eindruck, erst recht nicht, als es galt, auf der kleinen Bühne des Gdanska ein großes Jubiläum zu feiern. Blues ist nichts für Tiefgestimmte – mag er auch im tiefen Süden der USA einst aus Klageliedern entstanden sein. Aber Peter Driessen wuchs ja nicht zwischen Baumwollfeldern auf. Als junger Nachkriegs-Oberhausener entdeckte er die magischen „drei Akkorde, fünf Töne, zwölf Takte“ in aufreizend-rebellischer Pop-Verpackung: in Gestalt der Rolling Stones.

Der volle Sound elektrisch verstärkter Gitarren kam im Fieber über den Schüler des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums in Sterkrade – und das ist nicht bildlich gesprochen. „Ich lag Grippe-fiebrig im Klappbett“, erzählt der heute 66-Jährige, „und drehte am Röhrenradio“. So hörte er „She Loves You“, den Beatles-Hit vom Sommer 1963 und war elektrisiert. Peter Driessens frühe Faszination klingt noch heute nach, wenn er erzählt: „Ich hatte keine Vorstellung, wie diese Musik gemacht wird.“ Waren das wirklich nur zwei Gitarren, ein kleiner Hofner-Bass und ein Schlagzeug? Er vermutet, auch weil Piratensender wie „Radio Caroline“ aus der fernen Nordsee den Sound kräftig komprimierten, kam die Musik damals so druckvoll aus dem Radio.

Der Teenager lieh sich eine Wanderklampfe und übte sich prompt die Fingerkuppen blutig – im Wortsinne, denn auf das klassische Instrument waren Stahlsaiten gezogen. „1965 bin ich mit dem Stadtjugendpfleger Günter Knop in die englische Partnerstadt Middlesbrough gefahren“, ein Abenteuer für den heute längst Weitgereisten. Nach England, ins gelobte Land des Beat. Eisern sparte er den größten Teil seines Reise-Taschengeldes, um zuhause die erste eigene Sechssaitige kaufen zu können: „eine semi-akustische, wie Chuck Berry und B. B. King sie spielten“.

Um die erste Band musste sich der Anfänger nicht lange bemühen. „Zwei verwegene Typen“, so erzählt’s Peter Driessen, klingelten bei ihm auf der Suche nach einem Gitarristen. Peter Ulrich und Ullrich Nogaj sind heute als Zahnarzt und Arzt in Oberhausen bekannt: Als Schüler nannten sie sich schon Blues-bewusst „The Roosters“, nach der 1961er Single von Howlin’ Wolf „Little Red Rooster“.

Einen Lehrer brauchte er nicht

„Blues ist im besten Sinne primitiv“, sagt Peter Driessen. „Man trifft sich, zählt vor und fängt an zu spielen.“ Das ist der Anfang. Den sollte auch der Könner nie verleugnen. Das strenge Schema – die vom Musiker wie ein Mantra beschworenen „drei Akkorde, fünf Töne, zwölf Takte“ – sorgen, so paradox das klingen mag, für eine meditative Freiheit. „Man kann sich total hinein fallen lassen“, schwärmt der Gitarrist. Der Blues in seiner Einfachheit lässt gefühlvolles Spiel zu, „verlangt es aber auch, weil es sonst keinen Sinn macht!“ Er erinnert sich an seine Ausflüge mit dem Tonbandgerät, die Gitarre auf dem Rücken, um in Kirchen und leeren Gemeindehäusern eigene Aufnahmen zu machen – „weil es dort so schön hallte“.

Im Rückblick auf fünf Musiker-Jahrzehnte ist Peter Driessen sicher: Das erste Jahrzehnt war das schönste, „die Sechsiger waren eine der kreativsten Dekaden“. Gitarren-Lehrer brauchte er nicht, „ich habe das ausgeschwitzt“. Und mit der führenden Oberhausener Band Countdown, die 1968 einen Plattenvertrag bei Polydor hatte, bespielte er damals schon das Theater. „Wir waren Bestandteil des Abos.“ Vor empörten Theater-Abonnenten etwa?

Kultur war heiß – auch heiß diskutiert

Peter Driessen breitet entspannt die Hände aus: „Alles ganz locker und geschmeidig.“ Selbst als Peter Handke das Publikum beschimpfen ließ. „Hier in Oberhausen war eine offene Stimmung.“ Opas Theater war tot, Günther Büch hatte das Sagen. Kultur war heiß in der Ära Hilmar Hoffmann. Auch heiß diskutiert. Der Musiker erinnert sich an „endlose Gespräche: Wir hatten zu allen Disziplinen eine Meinung.“

Andere wechselten in bürgerliche Berufe. Peter Driessen hielt zu seiner Kunst. „Volkskunst“ nennt er den Blues. Seine anderthalb Berufsjahre als Gymnasial-Lehrer nennt er „gruselig: Ich habe einen Unwillen, Menschen etwas erzählen zu sollen, was sie nicht interessiert“.

Für ihn blieb der Blues also Beruf und Berufung. Das meint mehr als Entertainment: „Man spielt sich in einen Flow. Diese Musik hat die Klage zum Thema und eine heilende Wirkung.“ Als „musician’s musician“ (als Musiker für Musiker), wie’s im Englischen so schön prägnant heißt, ist er in der Szene geschätzt, hat viele große Namen kennengelernt, betont aber auch: „Flinke Finger haben mit dem Blues nicht viel zu tun. Angeberei ist dem Blues fremd.“

Er erzählt von dieser Musik wie von einem geliebten Menschen. Und war nie gefährdet, als er den sprichwörtlich selbstzerstörerischen „Rock’n’Roll Lifestyle“ berühmterer Kollegen näher kennenlernte. Nur in diesem Zusammenhang sagt Peter Driessen „bin ich kein Musiker. Da bin ich ein ganz normaler Mensch.“