Oberhausen. . Juliane Kanns „Alice“ bezaubert im Malersaal mit hinreißender Choreographie. Drei Alices zeigen maximale Spielfreude in minimalistischer Ausstattung.
Vielleicht haben einige das große Bündel auf dem Bühnenboden beim Eintreten in den Malersaal gar nicht zur Kenntnis genommen. Doch dieser große Gaze-Kokon, aus dem sich die drei „Alice“-Darsteller befreien, ist ein stimmiges Bild der Inszenierung – und eigenen Textfassung – von Juliane Kann nach Lewis Carrolls „Alice“-Erzählungen.
Es ist ein Spiel der Verwandlungen, der Häutungen, des Größer- und Kleiner-Werdens, und zwar ganz ohne „Pomp and Circumstance“. Angela Falkenhan, Lise Wolle und Moritz Peschke tragen keine viktorianische oder einer anderen Ära entsprungene bizarre Kostümpracht. Die Drei zeigen sich in ganz schlichten „schlauchigen“ Kostümen, auch sie äußerst dehn- und wandelbar.
Und sie zeigen sich in spielerischer Hochform. So wie sie in einem fast 90-minütigen Powerplay durch das exzentrische Märchen vom Wunderland jagen, muss man überhaupt nichts an Ausstattung vermissen. Jede Geste, jede Silbe lässt – ganz wie bei Carroll – die Fantasie aufleuchten.
Bewegungskunst wie im Ballett
Juliane Kann schuf zu jenem Werk (das Sigmund Freuds Traumdeutung ebenso vorausahnt wie das Beste von Monty Python) eine mit jedem Satz stimmige Choreographie. Die Bewegungskunst ihres Alice-Trios funkelt mit mehr als nur einem Hauch modernen Balletts – und ist schon als sportliche Leistung zu bewundern.
Vier Vorstellungen im „Wunderland“
Im Programm des Theaters firmiert die Inszenierung unter dem Tipp „12+“; sie ist aber eine Freude für jedes Alter, ob nun „36+“ oder „48+“ – oder für jeden mit Sinn für die hell-dunklen Seiten englischen Humors.
Weitere Aufführungen im Oktober folgen am Freitag, 9., Donnerstagen, 22. und 29., Samstag, 31., jeweils um 19.30 Uhr im Malersaal. Karteninfo: 0208-
85 78 184, per E-Mail besucherbuero@theater-oberhausen.de.
Schließlich gibt es so viel zu erzählen und vorzuspielen. Etwa das wie ein Spuk vorbeieilende Kaninchen: Also Hände an die Ohren gelegt und beim auf der Stelle Laufen die Knie ganz hoch gezogen. Oder die ihr Grinsen mit eleganten Pfotenhieben hin- oder wegwischende Cheshire Katze.
Verspielt-verquere Anti-Logik
Aufgeschrieben mag sich das wie eine matte „Cats“-Parodie lesen. Wer dem Spiel der drei Alice-Darsteller (und des gesamten Wunderland-Personals) aber staunend zusieht, der kann eigentlich nur bezaubert sein. Das alles hat seine verspielt-verquere Anti-Logik, die sich während der Teeparty des verrückten Hutmachers in den schönsten sprachlichen Irrwitz steigert. Durch verzerrende Mikrofone gesprochen klang die neue Fassung des Gedichts vom „Jammerwoch“ alias „Jabberwocky“ (für das Lewis Carroll eine eigene, lautmalerische Sprache erfunden hatte) wie von Minnie Mäusen auf Helium deklamiert.
Zerrend zwischen idyllisch und unheimlich klang auch die Musik von Daniel Freitag, teils Geräusch-Collage, teils elektronische Stimmungsmalerei. Doch angesichts des Spielwitzes dieser Inszenierung war’s nur aparte Zutat. Es genügte eigentlich zuzusehen, wie die drei Alices mit jedem Schluck aus der imaginären Pulle oder Häppchen vom psychedelischen Pilz sich dehnten oder schrumpften: Das erzählte alles über das Zu-Klein-Zu-Groß/Zu-Kindlich-Zu-Erwachsen der Pubertät. Für das gefürchtete „Pubertier“ findet diese „Alice“ eine unendlich poetischere Sprache als jeder Jan Weiler.