Oberhausen. Nach tödlichen Schüssen eines Polizisten auf einen Messerstecher wird der Beamte in Schutz genommen: In der Situation habe er wohl kaum anders handeln können.

Grell und bedrohlich strahlen in der Nacht zum Mittwoch Lichter auf dem Friedensplatz. Polizeiwagen und Rettungsfahrzeuge der Feuerwehr stehen vor dem Eingang der Wache. Auf der Treppe kümmern sich Rettungskräfte um einen Menschen. In dieser Nacht gegen 3 Uhr hat ein 39-Jähriger sein Leben verloren. Er wurde von ei­nem Polizisten (29) erschossen – offensichtlich aus Notwehr. Zuvor hatte der 39-Jährige im Wartebereich der Wache während eines Streits auf einen jungen Erwachsenen (21) mit einem Einhandmesser eingestochen. Danach ging der Täter auf Polizisten los.

Am Mittwochmorgen ist der Bereich um den Eingang zur Wache und zum Präsidium mit Flatterband weiträumig abgesperrt. „Seiteneingang benutzen – 200 Meter rechts. Haupteingang aufgrund von Sondereinsatz gesperrt“, steht auf weißen Hinweisblättern an dem Flatterband. Die Wache ist provisorisch zum Bezirksdienst verlegt worden. Leute stehen ratlos vor der Absperrung. Ein Pärchen fragt freundlich: „Wir wollten zu Herrn Simon.“ Sie werden ein Stück weiter nach oben geschickt. „Manche waren aber richtig sauer und wollten einfach durch die Absperrung“, sagt Polizeisprecher Axel Deitermann erstaunt. Die Leute machten Stress.

Warum kein Warnschuss?

Dabei haben die Polizeibeamten davon an diesem Tag schon genug. Die Stimmung ist gedrückt, heißt es. „Das ist eine Sache, die jeden belastet, etwas Ähnliches – wenn auch nicht mit so tragischem Ausgang – ist jedem schon passiert“, sagt ein älterer Polizeibeamter.

Natürlich fragen jetzt alle sofort: Warum wurde kein Warnschuss ab­gegeben, warum nicht auf die Beine gezielt? „Das ist unmöglich in einem so engen Raum“, ist aus Polizeikreisen zu hören. In einer solchen Situation könnten Kollegen nur noch einen Notwehrschuss in die Brust abgeben.

Arnold Plickert, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sieht das genauso. Er erklärt zunächst, dass Polizisten in einem Schießkino ausgebildet werden; unter einer Sequenz „Schießen – nicht Schießen“. „Der Kollege muss jeweils entscheiden, ob er schießt oder nicht“, verdeutlicht Plickert. Eine Person in einiger Ent­fernung könnten Polizeibeamte zunächst ansprechen. Bei jemandem, der sich nähere, seien Arme und Beine Ziele. Wenn aber jemand extrem nah sei, bliebe nur, auf den Oberkörper zu zielen. „Auf diese kurze Distanz war der Schuss­waffengebrauch rechtlich zugelassen“, sagt Plickert.

Enger Warteraum

Doch es wird alles überprüft. Am Mittwochvormittag steht ein weißer Bulli der Spurensicherung der Polizei Essen vor dem Präsidium. Die Ermittler sollen rekonstruieren, was auf der Wache genau geschah. Was man bis jetzt weiß: Die Männer, die sich nicht kennen, wie die Polizei sagt, geraten im klaus­trophobisch engen Warteraum der Wache so in Streit, dass alles in ein tödliches Drama mündet.

In dem Raum sitzen neben dem 39-Jährigen der 21-Jährige mit seiner Begleiterin (19) und warten auf eine Freundin. Im Laufe des Zwists zieht der ältere Mann das Messer und sticht auf den Jüngeren ein. Und das auf einer Polizeiwache vor den Augen von Polizisten. Beamte eilen dem 21-Jährigen sofort zu Hilfe. Der 39-Jährige geht auch auf sie los. Ein Polizist schießt. Der Ausgang des Dramas ist für den 39-Jährigen tödlich, obwohl ein Arzt versucht, ihn wiederzubeleben.

Was der Mann auf der Wache wollte, ist unklar. Polizeibekannt war er nicht. Alkohol und Drogen spielen nach bisherigen Erkenntnissen bei dem Streit keine Rolle. Der 21-Jährige wird zum Glück nur leicht verletzt. Die Polizisten werden nun psychologisch betreut.

Kommentar: Tödliche Waffe 

in Polizeibeamter schießt und tötet einen Mann und sofort will alle Welt wissen: Warum hat er denn nicht auf die Beine gezielt? Nun, nach allem, was bisher bekannt ist, war das in diesem Fall nicht möglich. Es sollen vielleicht zwei Meter zwischen dem Mann mit dem Messer und den Polizisten gewesen sein. Und der Mann mit dem Messer hatte gerade erst auf einen anderen eingestochen. Da war klar: Der ist bereit, das Messer zu benutzen.

Mal abgesehen davon ist da doch diese Ungeheuerlichkeit, dass einer auf einer Polizeiwache ein Messer zieht und auf einen anderen einsticht. Wer macht denn so etwas? Jemand, dessen Respekt vor Menschen gleich „Null“ ist. Mit zunehmender Respektlosigkeit von Bürgern müssen sich Polizisten täglich herumschlagen. Die früher mal naturgemäße Autorität der Männer und Frauen in Uniform ist stark angekratzt. Das ist bezeichnend für unsere Gesellschaft, in der sich keiner mehr etwas sagen lassen will. Die eh’ schon schwere Polizeiarbeit wird in einer solchen Gesellschaft noch schwerer.

Auf jeden Fall sollte eines klar sein: Waffen sind kein Spielzeug. Ein Messer ist eine tödliche Waffe. Wer ein Messer zückt und auf einen anderen einsticht oder es versucht, der muss damit rechnen, selber Verletzungen davon zu tragen, wenn der andere sich wehrt.