Oberhausen.. Schüler des Oberhausener Bertha-von-Suttner-Gymnasiums nehmen am „Shoah“-Projekt teil. Filmemacher lässt Augenzeugen und Orte vom Völkermord erzählen.

Die jetzige Schülergeneration wird mit den Zeitzeugen des Nationalsozialismus kaum oder gar nicht mehr in Kontakt kommen. Jene, die erzählen könnten vom Grauen der Konzentrationslager, weil sie überlebt haben, sind bald alle nicht mehr da. Das gilt auch für die Täter und Mitläufer von damals. Als eindrucksvolle Möglichkeit, sich dieses Kapitel deutscher, ja europäischer Geschichte zu erschließen, bezeichnet deshalb Jonathan Heuer den Film „Shoah“ des französischen Journalisten Claude Lanzmann.

Grund genug für den Referendar am Bertha-von-Suttner-Gymnasium, sich mit einer Schülergruppe an dem „Shoah“-Projekt zu beteiligen. Kursübergreifend können sich die Jugendlichen aus den Jahrgangsstufen elf und zwölf dafür anmelden. Zahlreiche Schüler haben schon Interesse bekundet, so Jonathan Heuer, „aber wer zum ersten Treffen am 16. Dezember wirklich kommt, wird sich dann zeigen.“ Schließlich wartet auf die 16- bis 18-Jährigen keine leichte Kost: Im Januar werden sie sich „Shoah“ in der Essener Lichtburg anschauen, neun Stunden Leinwand-Vorführung hat Lanzmann aus 350 Stunden Filmmaterial komponiert.

Der hebräische Begriff „Shoah“ bedeutet Zerstörung und Katastrophe und meint im Besonderen den systematischen Völkermord an den Juden im Zweiten Weltkrieg. Claude Lanzmann hat fast zwölf Jahre (ab 1974) an dem Monumentalwerk gearbeitet, mit dem er den „Genozid insgesamt und in seinen gigantischen Ausmaßen erfassen“ wollte. Sein Film ist das Gegenteil jener Doku-Fiction, mit der das Fernsehen das Grauen des Holocausts nacherzählt. Bei Lanzmann gibt es keine Bilder von Leichenbergen, keine Archivbilder, denn nach seiner Ansicht stamme dieses Material vor allem von den so genannten „Propaganda-Kompanien“. Der Autor und Filmemacher lässt Augenzeugen sprechen – und zwar Opfer, Täter sowie Polen, die in der Nähe der Konzentrationslager lebten.

Keine Leichenberge

Der Film lasse uns das grauenhafte Geschehen erfahren, hat die französische Intellektuelle Simone de Beauvoir geschrieben, „in unseren Köpfen, in unseren Herzen, am eigenen Leib“. Das gelinge mit „erstaunlich sparsamen Mitteln“: Orten, Stimmen, Gesichtern.

Genau das ist es auch, was den angehenden Lehrer für Mathematik und Musik, Jonathan Heuer, so von „Shoah“ einnimmt. Der 28-Jährige hat selbst Seminare dazu bei Professor Wilfried Breyvogel belegt und den neunstündigen Film gesehen. „Er eröffnet eine Perspektive abseits vom reinen Faktenwissen“, erklärt Heuer, der seine Schüler nicht unvorbereitet in dieses wuchtige Ereignis schickt, „wir werden uns inhaltlich darauf vorbereiten, es soll sich keiner dem hilflos ausgeliefert fühlen“. Aber „erschlägt“ einen dieser Film nicht? „Das soll er auch“, sagt Heuer, „aber jeder entscheidet, wie weit er dies an sich heranlässt“.

70 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz wird der Dokumentarfilm am 25. Januar 2015 ab 10.30 Uhr in der Essener Lichtburg aufgeführt, zum ersten Mal in voller Länge in einem deutschen Kino. Auch wenn Plätze für Schüler reserviert sind, gibt es Karten für Interessierte. Sie kosten 10 Euro und sind ab sofort an der Kasse der Lichtburg, Kettwiger Straße 36, sowie unter  0201/ 231023 erhältlich. Weitere Informationen gibt es unter www.shoah-lichtburg.de.

„Es ist der beste Dokumentarfilm zu dem Thema“

Wilfried Breyvogel, Professor für Jugendforschung aus Essen, hat das „Shoah“-Projekt zum Thema Nationalsozialismus initiiert.

Was ist das Shoah-Projekt?

280 Oberstufenschüler aus zehn Schulen in Essen, Oberhausen und Bottrop nehmen am Projekt teil. Ihre Lehrer bereiten sie auf den Film „Shoah“ vor, erklären den geschichtlichen Hintergrund, sind zum Teil mit ihnen nach Auschwitz gefahren. Nach der neunstündigen Film-Vorführung setzen sich die Schüler mit dem Gesehenen auseinander.

Warum wollen Sie den Film anderen zugänglich machen?

Es ist das beste dokumentarische Material, das wir haben. Claude Lanzmann zeigt nicht mit dem Finger auf die handelnden Menschen und löst keine Schocks aus. Er zeigt Augenzeugen, ihre Reaktionen und Emotionen. Das lässt beim Zuschauer die Fähigkeit der Nachempfindung zurück. Lanzmann hat den Film damals für die Deutschen gemacht, er sollte eine reinigende Wirkung haben.

Verstehen Schüler den Film?

Jugendliche kapieren den Stellenwert des Gesehenen sofort – wenn sie auf den Film vorbereitet wurden. Sie können sich dann emotional mit den Geschehnissen auseinandersetzen.

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