Ehud Sander hieß früher Erich und wuchs in der Nazi-Zeit als Jude in Oberhausen auf. Er floh nach Palästina und lebt heute in Israel. In diesen Tagen hielt er sich wieder in der Stadt auf – und sprach mit Schülern über sein Leid.

Ehud Sander und seine Tochter.
Ehud Sander und seine Tochter. © Ulla Emig

„Hassen Sie die Deutschen?”, fragt Meiqian Zheng vorsichtig. Ehud Sander blickt die 17-jährige Schülerin kurz an und antwortet dann ohne Zögern: „Nein, nicht mehr.” Der heute 84-Jährige hieß früher Erich, doch er änderte seinen Namen in Ehud, nachdem er aus Europa floh. Nachdem er vor den Nazis floh, die ihn und seine Familie jagten. Sander ging in den 40er-Jahren nach Israel – nach Deutschland, in das Täterland, wollte er nie wieder zurückkehren. Seine Meinung hat er geändert und nun war er zu Gast im Infozentrum der Gedenkhalle, wo er Schülern der Gesamtschule Osterfeld von seinem Leiden während der Nazi-Zeit erzählte.

Gebannt hörten Schüler und Lehrer zu.
Gebannt hörten Schüler und Lehrer zu. © Ulla Emig

Still und gebannt sitzen die Jugendlichen auf ihren Stühlen, lauschen gebannt der Geschichte des Mannes, der seine Erlebnisse schildert, als wären sie gestern geschehen. Ehud Sander erzählt, wie er den aufkommenden Hass gegen die Juden am eigenen Leib gespürt hat: „Da waren diese Jungen, die uns auf dem Nachhauseweg von der Schule mit Gummiknüppeln schlugen.”

Zeitzeugen-Gespräch mit Shoa-Überlebendem Ehud Sander und GSo-Schülern in Oberhausen Foto: Ulla Emig Ruhrkontrast
Zeitzeugen-Gespräch mit Shoa-Überlebendem Ehud Sander und GSo-Schülern in Oberhausen Foto: Ulla Emig Ruhrkontrast © Ulla Emig

Bei Rot-Weiß Oberhausen spielte er Fußball, dort wurde er 1936 aber wegen seiner jüdischen Wurzeln rausgewurfen. „Ich bin trotzdem noch RWO-Anhänger, auch wenn die nicht mehr so gut spielen wie zu meiner Zeit”, sagt Sander scherzend, um dann wieder ernst zu werden. 1938 war das Jahr, in dem am 9. November die Synagogen brannten. „Ich erinnere mich, wie die Synagoge in Oberhausen brannte. Die Feuerwehr stand daneben und passte auf, dass niemand den Brand löschte”, erzählt Sander, „das sind Sachen, die man einfach nicht vergisst.”

An den 7. Dezember 1938 kann sich Ehud Sander auch noch gut erinnern. Es war der Tag, an dem er Oberhausen verlassen musste. Zu ihrer Sicherheit wurden zahlreiche jüdische Kinder von ihren Familien nach Holland geschickt, damit sie von dort aus nach Palästina fliehen konnten. 300 waren es an der Zahl. Sander fand sich bald in Amsterdam wieder, doch zunächst wollte er nicht nach Palästina, sondern floh weiter nach Frankreich und später nach Spanien. Erst nach eineinhalb Jahren erreichte er Palästina.

Auf die Frage einer Schülerin, was mit seiner Schwester geschehen sei, antwortet Sander mit trauriger, aber fester Stimme: „Sie ist umgekommen.” Dann erzählt der Zeitzeuge von seinen Eltern, die ins KZ Theresienstadt kamen. Er habe Briefe von ihnen erhalten und sich eines Tages gewundert, wieso seine Mutter vor ihrem Namen ein ,W' geschrieben hatte. „Plötzlich begriff ich, dass das W für Witwe stand und dass mein Vater nicht mehr lebte”, sagt Sander und bricht in Tränen aus. Der Schmerz ist ihm auch heute, nach über 60 Jahren, noch anzumerken.

Nach Deutschland kam er erst 1967 wieder, nachdem Oberhausens Bürgermeisterin Luise Albertz ihn mehrfach einlud. Sander kehrte mit einem dicken Kloß im Hals zurück – denn die Bahn hielt am Oberhausener Hauptbahnhof genau an jenem Gleis, an dem damals der Zug nach Holland abfuhr.

Angesprochen auf den heutigen Nahost-Konflikt erklärt Sander, dass er von der Politik Israels und der Härte gegenüber den Arabern, enttäuscht sei. „Ich habe viele Araber kennen gelernt. Wir verstehen uns gut, sie sind meine Freunde.” Die Hoffnung auf einen Frieden zwischen Palästinensern und Israelis habe er noch lange nicht aufgegeben.