Heißen. Von der Kanzel der evangelischen Erlöserkirche in Mülheim-Heißen predigte ein Banker mit kirchlichem Segen: Tobias Egert ist am Reformationstag zum ehrenamtlichen Prädikanten ernannt worden. Acht solcher Laienprediger gibt es in Mülheim.

„Wann haben Sie zuletzt etwas intensiv gewollt?“, ungewöhnlich weltliche Töne hört man zum Reformationstag in der evangelischen Erlöserkirche in Heißen, von Karrierewünschen und Weltreisen. Denn von der Kanzel predigt diesmal ein Banker mit kirchlichem Segen: Tobias Egert ist an diesem Freitagabend zum ehrenamtlichen Prädikanten ernannt worden.

Es kommt nicht alle Tage vor in der evangelischen Kirche, dass ganz normale Bürger von der Kirchenkanzel sprechen, aber hin und wieder doch: Etwa acht solcher Laienprediger gibt es in Mülheim, schätzt Pfarrer Wolfgang Sickinger von der Evangelischen Kirchengemeinde Heißen. Prädikanten (lat. praedicare = predigen) dürfen nebenberuflich und ohne Priesterweihe eine Messe halten, nachdem sie zwei Jahre lang in die Ausbildung gegangen sind. „Dahinter steckt der Wunsch unserer Kirche, die alltäglichen, beruflichen Erfahrungen noch stärker in den Gottesdienst einzubringen“, erläutert der Pfarrer.

Viele Jahre in der Gemeinde aktiv

Tobias Egert ist von Berufs wegen normalerweise im Dienste des Kapitals unterwegs. War das ,Umschulen’ schwer? Was lernt man da überhaupt? „Wir hatten zum einen Schulung in Theologie, zum anderen in ganz praktischen Dingen: Wie baue ich eine Predigt auf, wie zeige ich Liturgische Präsenz im Gottesdienst vor der Gemeinde?“, gibt Egert Auskunft.

Schon seit vielen Jahren ist er in der Jugendarbeit sowie als Finanzkirchmeister für die Kirchengemeinde Heißen aktiv. Jetzt also bringt er sich noch ein Stückchen mehr ein. „Und das Predigen macht mir Spaß“, sagt er. Von Lampenfieber ist also nicht die Rede als sich Tobias Egert am Freitagabend vor den nahezu voll besetzten Kirchensaal zu seinem Ehrenamt bekennt: „Ja, mit Gottes Hilfe.“ Anschließend am Mikrofon, wirkt die Gemeinde auf die erste Predigt des frisch Ordinierten gespannt.

Luther-Eiche zeigt Verwurzelung der Gläubigen

Im Garten neben der Erlöserkirche haben die stellv. Superintendentin Dagmar Tietsch-Lipski, Pfarrerin Reinhilde Lüninghöner-Czylwik und Pfarrer Wolfgang Sickinger zum Reformationsfest eine Luther-Eiche gepflanzt. Ein Baum mit vielerlei Symbolwirkung: „Das Pflanzen einer Luthereiche erinnert an das Wirken Luthers und hat eine lange Tradition. Sie soll auch daran erinnern, dass die Gläubigen in der Gemeinde verwurzelt sind“, sagt Sickinger. In diesem Fall schließt sie auch ganz weltlich eine Lücke auf dem Kirchengelände: Der Pfingststurm Ela hatte dort mehrere Bäume umgestürzt. „Heißen hat ganz besonders unter dem Sturm gelitten. Es sind unzählige Bäume zerstört worden“, erinnert der Pfarrer.

Reformation nicht bei allen bekannt

Aber natürlich bleibt auch bei einem Banker die Spiritualität nicht außen vor: „Spüren wir heute noch das Gefühl, selig werden?“, lenkt Egert geschickt von weltlichen Ambitionen zu den geistigen, und will Mut dazu machen, „zu Gott gehören zu wollen“. „Es ist gut, dass der Kirchendienst von Menschen in normalen Berufen wahrgenommen wird“, lobt die stellvertretende Superintendentin Dagmar Tietsch-Lipski das ehrenamtliche Engagement. Doch auch kritische Anmerkungen hört man an diesem Abend in der Erlöserkirche: „Reformationsfest – was war das eigentlich noch?“, beklagt die stellvertretende Superintendentin. Nicht selten wüssten viele Kinder mehr über Halloween als über (ihre) Religion. Und die Besucherzahl in der Kirche sei inzwischen zumeist leider „überschaubar“ geworden.