Beim Nahverkehrsunternehmen MVG will nun auch die AfD die Notbremse ziehen und den Einstieg in den Ausstieg aus dem Straßenbahnverkehr beschließen. Intensiv hatte sich die neue Fraktion zuvor von Hendrik Dönnebrink, der in der Verwaltung die städtischen Beteiligungen managt, die Zahlen, Struktur und Probleme der MVG erläutern lassen, außerdem Jahresberichte gewälzt und sich mit anderen Verkehrsbetrieben beschäftigt, die ausschließlich auf den Bus setzen. Für den AfD-Politiker Ludger Beyerle waren die wirtschaftlichen Kennzahlen der MVG alarmierend: In diesem Jahr beträgt der Zuschussbedarf 34 Millionen Euro und sei damit genauso hoch wie das Aufkommen der Grundsteuer, und steige im nächsten Jahr sogar auf 37 Millionen Euro.
200 Euro muss jeder Bürger zahlen
Fassungslos ist er erst recht, wenn er, wie Dönnebrink, die Zahlen der Kraftverkehr Wupper-Sieg AG (Wupsi), die den Nahverkehr in Leverkusen organisiert und viel wirtschaftlicher ist, dagegenhält. Zwar lassen sich Verkehrsunternehmen nicht direkt miteinander vergleichen, weil Besonderheiten jeweils das Ergebnis prägen. Die Unterschiede sind aber dennoch beeindruckend. Pro Personenkilometer wird in Leverkusen ein Defizit von 1,76 Cent eingefahren, in Mülheim sind es 21,2 Cent. „Das sind Verluste, die jeder Bürger tragen muss“, sagt Beyerle. Ganz abgesehen von den Fahrkarten (gesamt: 23,3Mio. Euro) kostet der Nahverkehr jeden Mülheim im Jahr 200 Euro, jeden Leverkusener aber weniger als 20 Euro. Im gesamten Verkehrsverbund lagen die durchschnittlichen Kosten pro Einwohner auch deutlich günstiger: bei 70 Euro (2010). Das ist Geld, dass bei der desolaten Haushaltssituation dann an anderer, „möglicherweise schmerzvoller Stelle gekürzt werden muss“, sagt Beyerle. Für die nächste Sitzung des Betriebsausschusses am 7. November hat die AfD deshalb die komplette Umstellung der MVG auf den Omnibusbetrieb beantragt, die bis 2020 umzusetzen sei. Schon jetzt sei auf die Reparatur der sturmgeschädigten Strecke der 110 zu verzichten.
Der Systemwechsel, zu dem sich bislang nur die FDP klar bekannt hat, ist schon ein altes Thema. Dönnebrink hat die Schieflage, in der sich die MVG befindet, schon erkannt, als er 2006 zur Stadtverwaltung kam. Zaghaft hat er das Thema Anfang 2007 angesprochen, 2011 dann vehementer und mit Vergleichszahlen, etwa mit den Kosten in Hagen und Oberhausen. Kostentreiber, das ist längst klar, ist in Mülheim die U-Bahn, für die der Investitionsbedarf in ein paar Jahren deutlich ansteigen wird, ohne dass die Nachfrage mitzieht. Insgesamt hat die MVG 27,2 Millionen Fahrgäste. Gerade die Betriebskosten sind immens, so muss man allein für die Fahrtreppen und die Sauberkeit der U-Bahn im Jahr 800000 Euro ausgeben. Die Haltestelle Schloß Broich wird aber an einem Tag auch schon mal von nur 150 Personen genutzt. Viel zu wenig. „Deckel drauf!“, hat Dönnebrink mal gefordert.
Aber die Politik verharrt in einer Schockstarre, vertagte die Entscheidung, bemühte Gutachter und bangte um Wählerstimmen. So brachte zuletzt auch ein Ratshearing über die Zukunft des Nahverkehrs wenig Bewegung. Und jetzt?
„Der Antrag der AfD bringt gar nichts. Er führt nur wieder zu einer Emotionalisierung der Diskussion“, sagt SPD-Fraktionschef Dieter Wiechering. Er möchte das Ergebnis eines weiteren Gutachtens abwarten, das aber noch nicht einmal vergeben ist (siehe Kasten). Aus seiner Sicht ist die Frage des Nahverkehrs von solcher Bedeutung, dass dies nicht von einer „zufälligen Ratsmehrheit“ bestimmt werden könne. „Dazu müssen wir die Bürger befragen und brauchen einen Ratsbürgerentscheid.“ Der wäre erst in der zweiten Jahreshälfte 2016 möglich.
Bis 2017 aber müsste die MVG in ihren Bestand über 150 Mio. Euro investieren, davon 100 Millionen in die Meterspur und 21 Millionen in die anderen Straßenbahngleise. Nur 10 Millionen gehen in den Bus und 14 Millionen in die Verwaltung etc.. „Die beste Sozial-, Kultur- und Sportpolitik ist Verkehrspolitik“, meint daher Manager Dönnebrink.