Mülheim.. Das Ev. Krankenhaus Mülheim ist eine der wenigen Kliniken, in denen eine Erweiterung derHauptschlagader mit maßgefertigten Implantaten operiert wird. Die 34 000 Euro teure Metallprothese ist für Patienten mit einer seltenen Form von einem Aneurysma unabdingbar.
Der metallische Geruch von Blut durchdringt den Mund- und Nasenschutz. Es ist warm, dazu schwül, geradezu tropisch. Die OP-Schürze zerrt an den Schultern wie ein beladener Wanderrucksack und schnell signalisiert der Rücken Unmut vom dauerhaften Stehen. Einzig die Macht der Gewohnheit erklärt, wie man es lange in einem OP-Saal aushalten kann. Aber die drei operierenden Ärzte halten Smalltalk. Sie operieren ein Aneurysma an der Aorta, eine krankhafte Erweiterung an der Hauptschlagader.
Dort soll eine abgedichtete Gefäßstütze, ein sogenannter Stent, implantiert werden. Die Prothese soll verhindern, dass die Aorta platzt. Der Eingriff ist für die Chirurgen vom Ev. Krankenhaus Routine, obwohl dieser bundesweit längst kein Standard-Eingriff ist. Denn zum einen haben sie die Bauchdecke des Patienten für den Eingriff nicht geöffnet – die Ärzte operieren den 68-Jährigen heute minimal-invasiv durch kleine Einschnitte in den Leisten und an der Schulter. Und zum anderen ist die Prothese keine handelsübliche. Sie wurde für 34 000 Euro individuell für den Patienten modelliert.
„Für ihn kam keine andere Methode infrage“, erklärt Chefarzt und Privatdozent Dr. Alexander Stehr. Der Grund: Die meisten Patienten haben ein Aneurysma unterhalb jenes Abgangs der Aorta, der zu den Nierengefäßen führt. In den meisten Fällen reicht hier eine nicht maßgefertigte Prothese. Der 68-Jährige jedoch hat die Arterienerweiterung genau dort, wo die Eingeweidegefäße abgehen. „Eine Versorgung ist hier nur mit einer individuell angefertigten Prothese möglich“, so Oberärztin Gundula Schulz.
Prothese benötigt Extra-Arm
Darüber hinaus ist der Patient wegen einer anatomischen Besonderheit ein Sonderfall: Üblicherweise hat die Hauptschlagader an dem zu operierenden Bereich vier Ausgänge zu verschiedenen Organen. Einer dieser Ausgänge versorgt sowohl Leber als auch Magen und Milz. Der Patient dagegen hat eine gesonderte Arterie für die Milz. Statt vier Ärmchen, welche die Ausgänge zu den jeweiligen Organen abdichten, benötigt die Prothese deshalb einen fünften Arm. Über diesen soll die Versorgung der Milz laufen.
Eingesetzt wird die Prothese über Röntgenkontrollen in einem speziellen Operationssaal (Angio-Suite). Hier liegt auch der Nachteil der Maßnahme: Der Patient ist dauerhaft Strahlungen ausgesetzt. Dennoch erhöht sich die Überlebenschance bei der minimal-invasiven OP im Vergleich zur offenen OP um zwei Drittel, sagt Dr. Stehr. Beim offenen Eingriff liegt die Todesrate bei zehn Prozent, die Gefahr einer Querschnittslähmung bei 15 Prozent.
Heute aber läuft alles nach Plan. Um 16 Uhr kommt die OP nach sechseinhalb Stunden problemlos zum Ende. Viele seiner Familienmitglieder erlagen bereits einem Aneurysma – dank der Prothese ist der Patient dem Schicksal seines Stammbaums entkommen.