„Wir brauchen wieder mehr und besser bezahlte sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, wenn wir keine massenhafte Altersarmut bekommen wollen.“, sagt die Geschäftsführerin der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi), Henrike Greven. Ihre Mahnung, die sie mit einem Appell an die Verantwortung der Unternehmen verbindet, ist aktueller und dringlicher, als es vielen auf den ersten Blick erscheinen mag.

Mülheim ist eine vergleichsweise alte Stadt, in der schon heute fast jeder Dritte über 60 ist. Tendenz steigend. 2013 waren schon 2527 Mülheimer auf eine Grundsicherung im Alter angewiesen, weil ihre Rente nicht ausreicht, um damit den Lebensunterhalt zu bestreiten. Kostenpunkt für Stadt:und Bund 13,8 Millionen Euro. Obwohl die Zahl der Grundsicherungsempfänger seit 2010 bereits um 7,6 Prozent zugenommen hat, könnte sie noch einmal sehr viel deutlicher ansteigen, wenn Prognosen des Bundesarbeitsministeriums und der Rentenversicherungsträger zutreffen.

Guter Rat ist offenbar teuer

Das Bundesarbeitsministerium hatte bereits 2012 festgestellt, dass ab 2030 mehr als ein Drittel der Rentner auf Grundsicherung im Alter angewiesen sein könnte. Und bei einer Provinzial-Umfrage in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, äußerten 40 Prozent der insgesamt 1000 Befragten die Befürchtung, dass ihnen Altersarmut drohe, weil sie nicht privat vorsorgen können.

Was würde es für eine zunehmend älter werdende Stadt wie Mülheim bedeuten, wenn ab 2030 mehr als ein Drittel der Rentner auf Grundsicherung im Alter angewiesen wäre?

Wer sozialpolitisch engagierte Mülheimer danach fragt, stößt auf Problembewusstsein, aber auch auf Ratlosigkeit. „Das ist eine beängstigende Perspektive und wird alle Bereiche betreffen, egal ob es um Konsum, Freizeit, Kultur oder Gesundheit geht“, sagt Caritas-Geschäftsführerin Regine Arntz.

Für ihren Kollegen Lothar Fink von der Arbeiterwohlfahrt gibt es gegen die drohende Massenarmut im Alter nur eine vorbeugende Maßnahme: „Die Leute müssen wieder besser bezahlt werden.“

Awo-Chef Fink wundert es nicht, wenn viele Arbeitnehmer heute nicht privat für ihr Alter vorsorgen, „weil selbst mittlere Einkommen durch Familien und Erziehungskosten schon jetzt so belastet werden, dass es dafür nicht mehr reicht.“ Auch Dietmar Schmidt vom Sozialverband VDK stellt fest, dass sich auch immer mehr Junge nicht nur, aber auch mit Blick auf eine drohende Armut im Alter beim VDK beraten lassen.

Eduard Roncari von Sozialverband Deutschland und der gerade wiedergewählte Vorsitzende des Seniorenbeirates, Helmut Storm, sind davon überzeugt, dass eine schon jetzt klamme Stadt wie Mülheim die durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitslosigkeit geförderte Altersarmut und ihre Folgekosten im Rentenalter nicht alleine tragen können und zunehmend auf Bundes- und Landeshilfen angewiesen sein werden. „Das kann die Stadt nicht schaffen“, sagt Storm und wagt gar nicht darüber nachzudenken, „was es für das friedliche Zusammenleben in unserer Stadt bedeuten könnte, wenn sich eine immer größere Bevölkerungsgruppe auf der sozialen Verliererseite sieht.“

Günstiger Wohnraum muss her

Für Elke Domann-Jurkiewicz, die die Awo-Seniorentagesstätte an der Bahnstraße leitet, ist, Altersarmut schon heute ein Thema. Sie schätzt, dass ein Drittel ihrer Gäste Probleme hat etwa mit einen kleinen Witwenrente über den Monat zu kommen. Mit Blick auf aktuelle und künftige Altersarmut sieht sie die Bereitstellung von barrierefreiem und bezahlbarem Wohnraum als die größte Herausforderung des sozialen und demografischen Wandels, den Mülheim meistern muss. Und wenn zum Wohnen im Alter auch noch die stationäre Pflege kommt, werden, wie man auch bei den Mülheimer Seniorendiensten und dem Altenheimbetreiber Contilia einräumt, die in diesem Bereich von der Stadt zu tragenden Kosten weiter ansteigen.