Mülheim. Annett Heine betreut täglich ehrenamtlich die Flüchtlingsfamilien im Hildegardishaus. Ihr geht es darum, kulturelle Grenzen und Klischees zu sprengen.
Eine Kündigung ist für das Leben eine meist harte Zäsur – erst recht, wenn man wie Annett Heine eine führende Position innehatte. Aber die gelehrte Fachpflegewirtin hat sich von dem plötzlichen Einschnitt in ihr Arbeitsleben in keine Schockstarre versetzten lassen. „Ich habe versucht das Negative in etwas Gutes zu kehren“, erzählt Heine. Also rief sie kurz nach ihrer Kündigung im August beim Centrum für Bürgerschaftliches Engagement (CBE) an und fragte nach, wo man Hilfe gebrauchen könnte. Seitdem ist das Ehrenamt Heines Vollzeitstelle, und die 55 Flüchtlinge aus dem Hildegardishaus ihre zweite Familie.
„Die Leute sind immer ganz irritiert, wenn sie eine blonde Frau wie mich mit einer Gruppe ausländischer Kinder und ihren verschleierten Müttern durch die Stadt ziehen sehen“, erzählt Heine. Aber der 47-Jährigen gefallen die irritierten Blicke. „Ich möchte ein Bild in die Öffentlichkeit tragen, das zum Nachdenken bringt“, formuliert sie es. Ihr Auftrag: Negative Stereotypen vertreiben. „Das Leben ist bunt, die Menschen sind bunt“. Das ist Heines Lebensphilosophie.
Offen gegenüber anderen Kulturen
Dabei war Heine nicht immer so offen gegenüber anderen Kulturen. „Ich war zwar immer tolerant“, erzählt die Mülheimerin. „Aber ich habe zu keiner ausländischen Person Kontakt gesucht.“ Heine habe nicht gewusst, wie sie Fremden mit fremder Kultur begegnen soll. Aber im Flüchtlingsheim gab es kein Zögern und Zaudern mehr. „Am Anfang waren wir alle ein bisschen schüchtern“, erinnert sie sich. Dass das Eis dann schnell gebrochen ist, dürfte vor allem an Heines Vollkörpereinsatz liegen: Verständigen mit Händen, Füßen, Lauten, oder indem man ganze Situationen einfach vorspielt: „Ich habe meine eigene Sprache entwickelt“, lacht die dreifache Mutter.
Aber ihr Gestik-Schauspiel kann Heine immer mehr durch deutsche Vokabeln ersetzen: Täglich gibt sie sowohl den Erwachsenen als auch den Kindern Deutschunterricht in ihrer „zusammengeschnorrten Minischule“, wie Heine es selbst scherzhaft formuliert. Da sie aber keine Pädagogin ist, macht Heine einfach „Unterricht aus dem Bauch heraus“. Ihr Co-Lehrer ist dabei der Abiturient Patrick Schultz. Er begleitet Heine und die Flüchtlingskinder auch auf den Spiel- und Sportplatz oder zur Betreuung bei Behördengängen.
„Wer hätte gedacht, dass ich mal mit jemandem so gut befreundet bin, der so alt ist wie meine Stieftochter?“, sagt Heine. Das Ehrenamt, so scheint es, hat nicht nur Kulturen, sondern auch Generationen zusammengebracht.
Projekte, die zusammenbringen
Heine geht es ohnehin ums ‘Zusammenbringen’, egal in welcher Hinsicht. Ihre Idee: Projekte zu fördern, in denen Kinder alleinerziehender Mütter oder Senioren mit den Flüchtlingsfamilien zusammenkommen. „Davon profitieren alle!“, findet sie.
Heine selber hat von dem Ehrenamt im Hildegardishaus schließlich nur Gewinn gezogen. „Mich macht die Arbeit glücklich“, betont sie. „Die Leute hier sind um ihr Leben gerannt, weil sie ihre Meinung äußern wollten.“ Dadurch habe sie realisiert, wie gut wir es in Deutschland haben.
Wenn Heine demnächst auf die Suche nach einer neuen Anstellung geht, möchte sie deshalb auf eine Führungsposition verzichten, um mehr Zeit fürs Ehrenamt zu haben. Denn: „Die Flüchtlingsproblematik geht uns alle an. Da muss man Position beziehen und Verantwortung übernehmen.“