Selbeck. .
Nadin greift den weißen Kaffeebecher mit der rechten Hand und taucht ihn behutsam in ein Becken mit Spülwasser. Nicht etwa, um die Spuren vom letzten Kaffeeklatsch zu beseitigen – der Becher ist nagelneu – sondern, um anschließend das Emblem mit dem Schriftzug 50 Jahre Fliedner-Werkstätten aufzubringen. Denn bei Fliedners hat man in diesem Jahr allen Grund zu feiern: Neben der Stiftung, die seit 170 Jahren besteht, wird auch das Jubiläum der Werkstätten begangen, die es bereits seit 50 Jahren gibt.
Selbstbewusst und wortgewandt erklärt Nadin, wie die Tassen zu etwas ganz Besonderem fürs Jubiläum werden: „Man muss das Dekor links vom Henkel und oben am Tassenrand anlegen. Der Schriftzug sollte schon gerade sein. “ Geschickt fährt die körperbehinderte Frau mit ihren Fingern immer wieder über die Folie und streicht mit einer Art Spachtel die letzten Blasen und Falten heraus. Ist die Tasse soweit fertig, kommt sie in einen der nächsten Räume zum Brennen. „Die Kaffeetassen werden bei 800 Grad gebrannt, das Dekor brennt sich aber schon bei 300 Grad in die Lasur“, weiß die 33-Jährige. Sie geht in ihrer Beschäftigung auf, die sie in den Fliedner Werkstätten findet – Nadin arbeitet in der Werkstatt für Transferdruck.
Einen Raum weiter arbeitet Jutta Henken, bereits seit 45 Jahren ist sie bei den Fliedner Werkstätten tätig – ein Urgestein also, ihre Werkstattkollegin nennt sie daher auch liebevoll „die Oma“. Lange Jahre bereits kennt auch Jürgen Auberg die Mitarbeiterin Jutta. Auberg selbst ist seit 1988 bei den Fliedner Werkstätten tätig, heute als Betriebsstättenleiter. „Kontinuität ist wichtig für die behinderten Menschen, das gibt ihnen Halt“, sagt der gelernte Industriemeister. Er hat über viele Jahre die Entwicklung der Werkstätten miterlebt, weiß, was sich gewandelt, wie sich die Betreuung der Menschen mit Behinderung geändert hat.
Was Jürgen Auberg nicht bereits aus seiner eigenen Berufserfahrung wusste, das hat er nun entdeckt, als er für das Jubiläumsfest recherchierte, um eine Fotoausstellung und eine Präsentation mit Zeugnissen aus 50 Jahren Fliedner Werkstätten zeigen zu können. „Aus der Anlernwerkstatt, in der es noch um Arbeitserziehung ging, sind heute anspruchsvolle Tätigkeiten wie die Mitarbeit in der Schreinerei, im Garten-Landschaftsbau, beim Elektro-Recycling oder in Lager und Logistik geworden.“
Aber nicht nur die Beschäftigungsfelder sind vielfältiger geworden. Auch die Bereitschaft, behinderte Menschen in den Arbeitsalltag einzubeziehen, sei gewachsen. „Als die Werkstätten Mitte der 60er-Jahre anfingen, musste man noch auf Mitleid hoffen, um Aufträge von Firmen zu bekommen.“ Das funktioniere heute deutlich besser, hebt Auberg hervor, mittlerweile gibt es zahlreiche Firmen, die auf die Arbeit der Fliedner Werkstätten zurückgreifen. Einige wenige ehemalige Mitarbeiter haben auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Ausbildung machen können – sie gelten als Paradebeispiele. Doch immer noch sprechen sie in den Betriebsstätten von „der Welt da draußen“. Jürgen Auberg ist daher sicher: „Der Mensch muss im Vordergrund stehen, nicht wirtschaftliche Maßstäbe.“ Den schließlich arbeiteten die Behinderten bei Fliedner nicht „für uns, sondern mit uns.“