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laudereien sind nicht die richtige Form, um Fragen von Krieg und Frieden zu behandeln. Könnte man denken. Doch genau mit so einer Plauderei begann das Friedensengagement von Reuven Moskovitz. „Derjenige ist ein Held, der aus seinem Feind einen Freund macht“, sagt der 85-Jährige im Sommerhof, wo er auf Einladung des Friedensforums einen Vortrag hält. „Begegnungen haben eine heilende Wirkung.“

Es war am Gartenzaun. Das klingt nach Nachbarschaft, nach freundlichem Austausch von Haus zu Haus, kurz: nach Alltag. Dieses Gespräch, das Reuven Moskovitz aber vor vielen Jahren an einem Gartenzaun geführt hat, war alles andere als alltäglich. Allerdings liegt gerade auch darin das Verstörende: Das eigentlich Selbstverständliche kann nicht mehr selbstverständlich sein. Wenn ein Gespräch am Gartenzaun zum Wagnis wird, dann kann nicht wirklich Frieden herrschen.

1967 - Moskovitz ist Soldat im sogenannten „Sechs-Tage-Krieg“, aus dem Israel als Sieger hervorgegangen ist. Es eroberte den Gaza-Streifen und die Sinai-Halbinsel von Ägypten, das Westjordanland von Jordanien und die Golan-Höhen von Syrien. Moskovitz ist in einem palästinensischen Ort stationiert. Eigentlich besteht eine Kontaktsperre zu den Einwohnern. Da sieht er zwei junge Mädchen am Gartenzaun stehen. „Wir waren die Sieger. Aber ich war ein trauriger Sieger.“ Moskovitz ahnt, dass der Krieg zwar eine neue politische Lage geschaffen, aber eben nicht den Weg zu einem dauerhaften friedlichen Zusammenleben zwischen Israelis und Arabern geebnet hat. Er geht zu den Mädchen, spricht mit ihnen. „Ich habe ihnen Schokolade geschenkt.“ Schließlich tritt ihr Vater heraus. Das Gespräch geht weiter. „Wir haben festgestellt, dass wir beide Lehrer sind.“ - Am Ende sind sie Freunde. „Eines der Mädchen hat mir dann eine Mundharmonika überreicht. Damals habe ich noch überhaupt nicht gespielt.“ Jetzt ist es das Erkennungszeichen von Moskovitz. In der israelischen Friedensbewegung ist er seitdem als „der Mann mit der Mundharmonika“ bekannt. Denn auch durch die Musik kann man Menschen zusammenbringen.

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ch habe Reuven bei einem Evangelischen Kirchentag kennengelernt. Da fand irgendein Podium statt. Plötzlich kam dieser Mann mit der Mundharmonika und spielte. Und teilte uns seine Botschaft mit“, erinnert sich die Sprecherin des Friedensforums, Angelika Romeik. Die Botschaft war die gleiche wie heute. „Ich freue mich besonders hier zu sein. Hier sitzt das Deutschland, das ich liebe“, sagt Moskovitz zu den rund 50 Personen, die gekommen sind, ihm zuzuhören. Die meisten von ihnen Senioren, aber auch einige junge Leute. Viele der Älteren haben den Krieg noch selbst erlebt. Bevor die Veranstaltung beginnt, kann man es in Gesprächen hören. Eine 79-Jährige berichtet ihrem Sitznachbarn von ihren Erlebnissen während des Bombenkrieges. „Ich bekomme heute noch einen Schreck, wenn ich Sirenen höre.“ Sie hat erlebt, was es bedeutet, im Krieg zu leben. Sie findet die Gründe für ihr Engagement in ihrer Biographie.

Das gilt auch für Reuven Moskovitz. Der 85-Jährige, der in Rumänien geboren wurde, ist ein Überlebender des Holocaust. Für ihn ist das Verhältnis zwischen Israel und Deutschland ein besonderes. Allerdings setzt er seine Akzente anders als mancher vielleicht erwarten würde. Sein Grundsatz ist dabei: „Freunde darf man auch kritisieren.“ Aber gerade hier sieht er ein großes Defizit der deutschen Politik. „Deutschland leidet unter ein postraumatischen Krankheit. Deutschland hat sich eine Schuld aufgeladen und glaubt nun reflexartig, die israelische Politik unterstützen zu müssen.“ Moskovitz ist ein starker Kritiker der Politik der jetzigen israelischen Regierung. Denn deren Ergebnis laute: „Wir machen unsere Feinde zu noch größeren Feinden.“ Von Angela Merkel habe er sich mehr Kritik an der israelischen Politik erhofft. „Ich dachte, endlich eine Frau als Kanzlerin. Aber es herrscht wieder die gleiche Einseitigkeit.“

Allerdings, bei aller Resignation über die Politik, die bei Moskovitz durchscheint, hat die Motivation des Friedensaktivisten, für mehr Verständigung zu werben, nicht nachgelassen. Zwar sagt er zuerst: „Ich habe meine Hoffnung verloren.“ Aber gut eine halbe Stunde später lautet die Bilanz gegenüber seinen Zuhörern: „Durch euch bekomme ich neue Hoffnung.“ Gewiss, dahinter mag auch ein wenig Taktik stecken. Moskovitz ist auf einer Vortragstour durch Deutschland, er weiß, wie man ein Publikum begeistert. Aber dahinter steckt mehr.

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er 85-Jährige zieht seine Friedenshoffnung aus dem Gespräch. „Wir sollten jetzt endlich essen“, sagt er denn auch immer zwischendurch. Er weiß, dass dann auch die Besucher ins Gespräch kommen. Und daraus könnten neue Initiativen entstehen: „Warum schreiben Sie nicht alle mal an Frau Merkel?“ Reuven Moskovitz geht es nicht darum, ob solche Aktionen tatsächlich Erfolg haben. Er will, dass ein Anfang gesetzt wird. Seine Devise: „Heilige sind Sünder, die sich ständig bemühen.“

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o freut er sich über den Bericht einer Studentin, die eine Doktorarbeit in Jüdischen Studien schreibt, wie sie als 16-Jährige über das Internet Kontakt mit der Tochter aus einer orthodoxen Familie aufgenommen hat. „Die Familie war sehr kritisch gegenüber Deutschen. Als ich nach drei Wochen Aufenthalt dort wieder zurückgefahren bin, wollten sie mich gar nicht wieder fahren lassen.“ Moskovitz’ Antwort: „Es kommt auf die Begegnung an.“ Denn dann spüre man, dass der Andere in erster Linie nicht einer bestimmten Volksgruppe angehöre, sondern ein Mensch sei. „Wie das geht, kann man von Kindern lernen.“ Über Moskovitz wurde ein Lied geschrieben, da heißt es in einer Zeile: „Das Kind mit Falten.“