Er freut sich, klar. Rudolf Nass hat sich dafür eingesetzt, dass höhere Beamte mehr Lohn erhalten. Das Urteil des Landesverfassungsgerichts nennt der Mülheimer Personalrat daher richtig und gerecht. Aber er ahnt, dass das Plus einen Preis haben wird. So wie die städtischen Kämmerer auch.

Knapp jeder vierte Beschäftigte in der 3200 Köpfe zählenden Mülheimer Verwaltung ist ein Beamter, viele davon in jenen Einkommensklassen, die nun vom Urteil des Landesverfassungsgerichts profitieren werden. Käme es dazu, dass sie den Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst (5,6 Prozent für 2013 und 2014) ebenfalls erhielten, kostet das die Stadtkasse zusätzliche 830 000 Euro. Einen Teil davon, rund 260 000 Euro, hat der Kämmerer schon zurückgelegt, der Rest müsste irgendwo eingespart werden. Kein Wunder, dass Kämmerer Bonan gestern hoffte, die Landesregierung werde den Abschluss doch nicht 1:1 übernehmen. Auch Ministerpräsidentin Kraft sprach zuletzt im Parlament von einem „geglätteten Übergang“. Nach der Sommerpause will die Regierung dazu einen Vorschlag vorlegen.

Düsseldorf hatte den Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst 2013 sozial gestaffelt und nur bis zur Gehaltsstufe A 10 (beispielsweise Oberpfleger oder Oberkommissar) für die Beamten voll übernommen. Für A 11 und A 12 (Hauptkommissar oder Konrektor einer Grundschule) sollte es noch zwei Prozent geben, darüber eine Nullrunde (allgemeine Stellenzulage und Familienzuschlag stiegen jedoch für alle und um 2,65 Prozent). Dazu hatte das Landesverfassungsgericht am Mittwoch geurteilt, dass eine Splittung der Gehälter ungerecht sei und gegen das Alimentationsprinzip verstoße, das die Treue des Staatsdieners mit Fürsorge und einem „angemessenen Lebensunterhalt“ belohnt. Was nun angemessen ist, da habe der Gesetzgeber einen „breiten Spielraum“ schrieben die Richter (kein Wunder, gleichlautend hatte schon vor Jahren das Bundesverfassungsgericht geurteilt). Die Regierung müsse auch nicht alle Beamte im gleichen Maße bedenken und, mehr noch, sie sei auch keineswegs verpflichtet, die Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst auf Beamte und Richter zu übertragen und überdies berechtigt, die Schuldenbremse 2020 und die Haushaltslage in seine Entscheidungen mit einzubeziehen. Aber trotz alledem: Für das Vorgehen der Regierung Kraft fehle in diesem konkreten Fall der sachliche Grund - und deswegen sei es verfassungswidrig ( nachzulesen unter www.vgh.nrw.de und www.bundesverfassungsgericht.de )

Über das Urteil und seine Auswirkungen sprachen wir mit Rudolf Nass. Er ist stellvertretender Personalratsvorsitzender der Stadtverwaltung und für den Bezirk Mülheim-Oberhausen der Gewerkschaft Verdi Mitglied im Landesbeamtenausschuss. Er lässt keine ausgelassene Freude erkennen und sieht die Lage recht differenziert.

Herr Nass, zu Beginn eine einfache Frage: Ist das Urteil richtig?

Nass: In Gänze kann ich das noch nicht interpretieren, weil wir es im Detail noch gar nicht kennen. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Warum?

Weil viele Kolleginnen und Kollegen doch sehr enttäuscht und frustriert sind. Beamte wurden auch unter den Regierungen Steinbrück (SPD) und Rüttgers (CDU) immer wieder von der allgemeinen Lohnentwicklung abgekoppelt und als Sparschweine missbraucht. Ich erinnere nur an Kürzungen beim Urlaubsgeld oder an den Selbstbehalt bei der Beihilfe oder an die Heraufsetzung der Arbeitszeit. Obwohl Frau Kraft uns zugesichert hat, sie wisse um die Belastungen im Öffentlichen Dienst, kam dann dieser Einschnitt. Übrigens recht zeitnah zur Anhebung der Abgeordnetendiäten um 500 Euro im Monat. Das hat keiner verstanden.

Ist das Urteil auch gerecht?

Ja, ich glaube schon, obwohl ich es mir eindeutiger gewünscht hätte. Es eröffnet der Regierung sehr weite Spielräume. Insofern finde ich es absolut positiv, dass Ministerpräsidentin Kraft nun ein Gesprächsangebot an die Gewerkschaften unterbreitet hat.

Denn es gibt keinen gerichtlich verankerten Automatismus.

Nein, den gibt es eben nicht.

Überspitzt könnte man sagen, dass Spitzenbeamte und Richter einstreichen, wofür Müllwerker auf die Straße gegangen sind. Fürchten Sie um die Solidarität?

Nein.. Wir hatten viel Unterstützung, auch von denen, die gar nicht betroffen waren, weil sie in den Genuss der Tarifsteigerung gekommen sind. Die Kollegen wissen alle: Beim nächsten Mal kann es uns treffen.

Die Verbundenheit könnte auf die Probe gestellt werden, wenn sich der Personalabbau nun beschleunigt.

Das sind wir im Öffentlichen Dienst gewohnt, es wäre nicht der erste Versuch, zu entsolidarisieren. Aber es wird auch dieses Mal nicht gelingen. Der Öffentliche Dienst steht zusammen, weil wir es nicht tolerieren, wenn es für gleiche Arbeit anderen Lohn gibt, je nachdem, ob man Beamter oder Angestellter ist. Auch in Mülheim gibt es ja ein anspruchsvolles Sparprogramm von 280 Stellen in der Stadtverwaltung. Vielleicht wird das jetzt noch mehr.

Solidarität hat noch einen anderen Aspekt und wird auf die Probe gestellt, wenn Bürgerleistungen gekürzt oder Programme gestrichen würden. Die Reallöhne in der freien Wirtschaft sind im ersten Halbjahr 2014 nach aktuellen Angaben der Statistikämter nahe netto Null gewesen. Ob das zur Akzeptanz der Einkommenssteigerung bei höheren Beamten beiträgt?

Wir müssen sehen, dass wir in Deutschland einen Lohnrückstand bei der Beamtenschaft haben. Oberste Gerichte haben den schon bei knapp 18 Prozent taxiert. Es gibt also Nachholbedarf. Richtig ist aber: Wenn es einen Automatismus in der Besoldung gäbe, müssten wir uns als Beamte nicht jedes Mal rechtfertigen.

Unterstellt, es gibt den Lohnrückstand. Ist das nicht der Preis für die Unkündbarkeit?

Die ist so doch gar nicht mehr gegeben. Auch bei uns gibt es Umsetzungen oder Versetzungen in den Ruhestand. Die letzte Sicherheit ist das nicht mehr, zumal außer im höheren Dienst kaum noch Beamte eingestellt werden. Die Möglichkeit, Beamter zu werden, schwindet.

Dennoch strebt nach einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young jeder dritte Student eine Stelle im Staatsdienst an.

Das verstehe ich auch nicht ganz. Vielleicht ist die Wirklichkeit des Staatsdienstes in den Köpfen noch nicht so richtig angekommen.

40 Prozent des Landeshaushaltes sind Personal- und Pensionskosten. Glauben Sie, dass eine Regierung, welche Farbe sie auch immer haben mag, den Haushalt im Hinblick auf das Neuschuldenverbot 2020 konsolidieren kann, ohne diesen Kostenblock anzufassen?

Nein, das glaube ich nicht. Der Öffentliche Dienst wird seinen Beitrag leisten müssen. Nur eben nicht über den Versuch einer willkürlichen Kappungsgrenze.