Das Max-Planck-Institut für Kohlenforschung genießt weltweit einen hervorragenden Ruf, so viel wissen die Mülheimer – und es macht sie stolz. Was genau aber in den Gebäuden zwischen Kaiser-Wilhelm-Platz und Margaretenplatz passiert, davon haben die wenigsten eine Vorstellung. Na klar, Karl Ziegler – der einzige Nobelpreisträger aus Mülheim – hat dort gewirkt. Und mancher hat auch das Schlagwort „Katalyse“ schon mal gehört. Doch darüber hinaus? Kommt oft nur Achselzucken.

Wir wagten einen Blick hinter die Mauern des MPI – und trafen gleich zu Beginn auf einen, dessen Fachgebiet allein des Namens wegen zu beeindrucken vermag: „Theoretische Chemie“ ist das Steckenpferd von Prof. Dr. Walter Thiel; er ist Direktor der gleichnamigen Abteilung. Die Grundlagenforschung ist sein täglich Brot, die genaue Berechnung winziger Moleküle und ihrer Reaktionen untereinander sowie die Beschreibung komplexer Systeme mit Tausenden von Atomen. So wie alle anderen im Haus möchten er und seine Mitarbeiter die chemische Katalyse vorantreiben, also die – vereinfacht gesagt – Wissenschaft von den Stoffen, die chemische Reaktionen beeinflussen können, ohne dabei selbst verbraucht zu werden.

Thiel ist Herr über äußerst leistungsfähige Computer, die alle möglichen Eigenschaften besagter Moleküle berechnen. Mindestens eine Milliarde Operationen pro Sekunde schaffe so ein PC. Und da die Rechner stetig besser geworden sind, habe sich auch das Wissen explosionsartig vermehrt: „In den letzten 50 Jahren ging es rasant voran – aber wir haben trotzdem noch viel Luft nach oben.“

Know-how für alle Abteilungen

Das Know-how seiner Abteilung dient unmittelbar auch anderen Forschern im Haus. Das ist eine der Grundideen im MPI: Hand in Hand arbeiten, sich gegenseitig helfen und voranbringen. „Gemeinsam geht’s besser als allein“, so der 65-Jährige.

Im vergangenen Jahr übrigens haben drei Amerikaner den Nobelpreis für Chemie erhalten, allesamt Forscher auf dem Gebiet der Theoretischen Chemie. Und in der Begründung ihres Preises wurden auch die Mülheimer Kollegen erwähnt. . .

Prof. Dr. Christian Lehmann (49) und sein Team stehen auf „schöne Bilder“ und erstellen diese wahlweise mittels Raster-Elektronenmikroskop oder Transmissionselektronenmikroskop. „Das Material, das wir uns ansehen, dient entweder direkt als Katalysator oder ist Träger von winzigsten Katalysatoren.“ Wo selbst das allerschärfste Auge längst versagt, hilft die Technik, Verborgenes ans Tageslicht zu holen und Fragen von Kollegen anderer Abteilungen zu klären. Zum Beispiel: Wie groß sind die Teilchen, die wir hergestellt haben? Und wie sind sie eigentlich auf dem Träger verteilt?

Das Millionstel eines Haares

Teilchen mit einer Größe von gerade 0,2 Nanometern können im MPI sichtbar gemacht werden – am Beispiel eines etwa 0,1 Millimeter breiten Haares bedeute dies: „Wir können noch ein Millionstel davon sehen“, so Lehmann. Mit dem Raster-Elektronenmikroskop erhalte man Bilder von der Oberfläche des zu untersuchenden Materials, erklärt der Servicegruppenleiter, das Transmissionselektronenmikroskop dagegen gestatte den Blick ins Innere. „Im Einzelfall kann man sogar die Aneinanderreihung von Atomen erkennen.“ Die Ergebnisse aus der Abteilung Chemische Kristallographie und Elektronenmikroskopie finden schließlich den Weg auf die Schreibtische der Kollegen – „und bestätigen dann dort eine Arbeitshypothese – oder widerlegen sie“, so Lehmann. So manches Experiment musste wegen Lehmanns „schönen Bildern“ schon abgeändert werden.

Am Arbeitsplatz von Wolfgang Kersten (57) und Knut Gräfenstein (48), zwischen Fräs- und Drehmaschinen, geht’s oft heiß her: Viele Chemiker, die bei den Feinmechanikern anklopfen, erhoffen sich Apparaturen für ihre Versuche, die extremen Temperaturen und hohem Druck standhalten. Bis 500 Grad sei ja auch vieles machbar – „doch ab 550 Grad machen alle Materialien, die wir bisher kennen, schlapp“, sagt Werkstattleiter Kersten. Kürzlich sei es trotzdem gelungen, einen Autoklaven herzustellen – also einen luftdicht verschließbaren Druckbehälter –, der 600 Grad überlebt. Wir bewegen uns bei unserer Arbeit oft in Grenzbereichen – und müssen schauen, was das Material aushält“, so Kersten. Entscheidend seien dabei unter anderem die Legierungen. Aber nicht nur mit Metall wird in der Werkstatt hantiert, sondern auch mit Kunststoffen, Teflon etc. – mit allem eben, was Chemiker so brauchen. Experimente mit besonders hohen Drücken dürfen diese übrigens nur in einem speziellen Gebäude durchführen, im Druck-Technikum. Dort sei baulich alles so beschaffen, sagt Gräfenstein, dass es auch nicht so schlimm sei, „falls mal etwas in die Luft fliegt“.

Kanadier ist für zwei Jahre am MPI

Gavin Tsui ist Post-Doktorand in der Abteilung Homogene Katalyse von Prof. Dr. Benjamin List und eines der jüngeren Gesichter am MPI. Der Kanadier ist für zwei Jahre in der Stadt; gelockt hat ihn der exzellente Ruf des Forschungsinstituts. „Selbst mein Professor in Toronto hat mir gratuliert, als klar war, dass ich nach Mülheim komme.“ Tsui lebt nun mit seiner Frau am Kahlenberg und genießt „das Grün in der Stadt“ sowie die Nähe zum Arbeitsplatz.

Im Laborhochhaus macht er sich aktuell verdient um den guten Geruch. Heißt: Der 34-Jährige ist dem Rosenoxid auf der Spur, das Bestandteil ist von Rosenöl, welches zum Beispiel in der Parfümindustrie heiß begehrt ist. Traditionell müssen Tonnen bulgarischer Rosen geerntet werden, um nur wenige Tropfen des Öls zu gewinnen.

Tsui nun möchte das Rosenoxid synthetisch herstellen, den Naturstoff also nachbauen. Er testet dafür viel aus im Labor und denkt intensiv nach über neue Methoden. „Wenn die Arbeit Erfolg hat“, so witzelt er, „gibt es eines Tages vielleicht ein Parfüm mit dem MPI-Logo, gewissermaßen ein ,Mülheim No. 5’. . .“