Warum sind Sie heute hier, will der Moderator der Bürgerversammlung in Broich wissen und bekommt von mehreren Seiten die gleich Antwort: „Wir haben Angst!“ Eine Frau fragt: „Mein Haus grenzt direkt an das Grundstück vom Hildegardishaus, was kommt da auf mich zu, wenn die Flüchtlinge dort einziehen?“ Eine andere sagt, dass sie Kinder habe und sich um sie sorge, einer sorgt sich sogar um sein Auto, andere fürchten eine Vermüllung der Gegend und Gewalttätigkeit. Was wird in Broich an der Ulmenallee, wenn demnächst bis zu 50 Flüchtlinge und Asylbewerber in das jetzt leer stehende Gebäude einziehen? Etwa 100 Bürger aus der Nachbarschaft sind gekommen, um zu reden, Neues zu erfahren.

Die Bürgerschaft ist gespalten, die einen sehen keine Probleme darin, wenn Menschen aus Syrien, dem Irak oder woher auch immer demnächst für kurze Zeit im Stadtteil leben, andere sehen es anders. Sie erinnern auch an Dortmund und Duisburg, an die Hochhäuser, in die Rumänen und Bulgaren eingezogen sind und für jede Menge Probleme gesorgt haben. Sozialdezernent Ulrich Ernst betont mehrfach, dass dies nicht zu vergleichen sei. Was in Duisburg und Dortmund geschehe, habe einen völlig anderen Hintergrund. „In das Hildegardishaus ziehen keine Menschen aus diesen Ländern.“ Doch woher kommen sie und wie viele werden es sein?

Die Stadt kann keine befriedigende Antwort darauf geben, weil sie es nicht weiß. Über zentrale Anlaufstellen würden die Flüchtlinge und Asylbewerber auf die Städte verteilt, je nach Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft. „Wir bekommen kurz vorher ein Fax, und erst dann wissen wir, wie viele es sein werden und woher“, sagt Ernst. Mehr als 50 Personen will er im Hildegardishaus nicht unterbringen, und er sichert zu, dass rund um die Uhr ein Ansprechpartner vor Ort im Haus sein werde.

Die Stadt ist sehr froh, dass die Gemeinde St. Mariä Himmelfahrt ihr das Haus angeboten habe. Ob die Pfarrei damit Geld verdiene und wie viel, will ein Anwohner wissen. Die Stadt zahle einen geringen Betrag, den will der Träger des Hauses, die Kloster Saarn GgmbH, jedoch wieder in die Gemeinde zurückgeben. Fest stehe, so Ernst, dass die Nutzung des Standortes bis Oktober begrenzt sei. Bis dahin will die Stadt eine andere Unterbringungsmöglichkeiten gefunden haben. Dann müssen die Flüchtlinge auch in Broich weichen, weil das Haus abgerissen wird.

Pater Josef Prinz mahnt eindringlich, nicht nur von Nächstenliebe zu reden, sondern sie auch zu praktizieren. „Die Nächstenliebe gegenüber Menschen in Not gehört zur christlichen Lebenshaltung, wir haben hier die Chance, dies auszustrahlen“, sagt er und erhält von vielen Beifall. Der Kirchenvorstand unterstützt das Projekt. Die Stadt weicht damit allerdings auch von ihrer bisherigen Haltung ab, Flüchtlinge nicht an einer Stelle zu konzentrieren. Doch eine andere Chance sieht Ernst derzeit nicht. Die Zuweisungen haben deutlich zugenommen.

Einer der Bürger, die an diesem Abend gekommen sind, ist der neue Ratsherr Hasan Tuncer. Er erzählt, dass er selbst vor Jahren als Flüchtling und politisch Verfolgter nach Mülheim kam. Er warnt vor Vorurteilen und Vorverurteilung, plädiert für den Dialog mit den Menschen, die hier Schutz suchen. „Dies hilft auch, die rechte Szene fern zu halten“, ist er überzeugt. Denn die nutze gerne schamlos die Skepsis von Bürgern gegenüber Menschen aus anderen Ländern aus. Es ist auch eine der Ängste, die an diesem Abend geäußert werden: Haben wir bald die Rechten in Broich?