Mülheim. Mitarbeiter des Senioren- und Pflegeheims in der Mülheimer Innenstadt berichten von teilweise „katastrophalen“ Zuständen in der Einrichtung. Vor einer Woche gab es eine Begehung des Hauses durch die Heimaufsicht und den Medizinischen Dienst. Konsequenz: Ein Belegungsstopp wurde verhängt.

Im Senioren- und Pflegeheim Bonifatius herrschen offenbar untragbare Zustände. Entnervte Mitarbeiter wenden sich an die Öffentlichkeit. Und wie bislang nur informell bestätigt wurde, hat die städtische Heimaufsicht jetzt einen Belegungsstopp für das Haus am Hingberg ausgesprochen.

Schon vor einigen Jahren gab es Berichte über mangelhafte Pflege und personelle Probleme in der Einrichtung, die unter dem Dach der Maternus läuft, hinter der wiederum die Unternehmensgruppe Cura mit Sitz in Berlin steckt. Das Bonifatius-Heim habe angesichts der geforderten Einzelzimmerquote eine Kapazität von 180 Plätzen, so ein Sprecher von Maternus, aktuell lebten hier 157 Bewohner.

Mitarbeiter berichtet von katastrophaler Wundversorgung

Um die Qualität des Hauses zu erhöhen, wurden im Frühjahr neue Fachkräfte eingestellt. Zu ihnen gehört seit dem 1. März 2014 Jovica Jovic. Der 31-Jährige leitet einen Wohnbereich, in dem etwa 45 Menschen leben, darunter knapp 20 jüngere Leute, die an Suchterkrankungen leiden. Im Vorstellungsgespräch habe man ihm „bestehende Schwierigkeiten mit dem Personal“ geschildert, so Jovic, „aber auch Rückendeckung versprochen, um die Zustände zu verbessern“. Was nicht gelang.

Jovic möchte die Missstände öffentlich machen. Er berichtet von „katastrophaler“ Dokumentation und Wundversorgung, von Bewohnern, die „nahe am Verwahrlosungszustand in stinkenden Zimmern“ lebten. Von Betäubungsmitteln, starken Schmerzmedikamenten, die auf ungeklärte Weise verschwinden. Die Gründe sieht er nicht im fehlenden Personal („formal ist der Schlüssel erfüllt“), sondern in unprofessioneller Arbeit.

Eine andere Mitarbeiterin, erst seit vier Monaten im Haus, die namentlich nicht erscheinen möchte, würde dies nicht unterschreiben. Sie beklagt: „Es gibt zu wenig Personal, der Betreiber hat Geld aus der Einrichtung gezogen.“ Grundlegende Pflegeartikel wie Rasierer würden fehlen: „Wie soll ich Leute waschen, wenn ich keine Waschlappen habe? Ich habe Bettlaken genommen.“ Das Pflegepersonal gebe sich größte Mühe, „aber sie sind überfordert“.

Ein dritter Kollege bestätigt dies, erkennt „strukturelle Probleme“ im Haus: „Es gibt keine Veränderungen, immer nur Hau-Ruck-Aktionen, indem Leute aus anderen Konzernbereichen vorübergehend nach Mülheim geschickt werden.“

Bewertungen durch den Medizinischen Dienst

Man sei derzeit in Gesprächen mit der Heimaufsicht, bestätigte ein Sprecher des Unternehmens, könne jedoch noch keine näheren Informationen geben. Wie die Mitarbeiter übereinstimmend berichten, werde seit längerem über eine Übernahme der Einrichtung verhandelt. Dies wollte Maternus am Dienstag „weder bestätigen noch bestreiten“.

Bei der jüngsten Qualitätsprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Nordrhein, die am 21. November 2013 erfolgte, erhielt Bonifatius die Gesamtnote 2,1. Noch deutlich ungünstiger mit 2,6 fiel die Bewertung im Teilbereich „Pflege und medizinische Versorgung“ aus, während eine Bewohnerbefragung die Note 1,3 erbrachte.

Die städtische Heimaufsicht habe das Haus allein seit November mindestens vier Mal besucht, berichtet ein Bonifatius-Mitarbeiter. Aus aktuellem Anlass gab es am Dienstag, 10. Juni, erneut eine groß angelegte Begehung, an der auch Vertreter des MDK und des Betreibers Cura GmbH teilnahmen.

„Uns sind Unregelmäßigkeiten bekannt geworden“, bestätigte Stadtsprecher Volker Wiebels auf Anfrage. „Die Heimaufsicht hat das Haus im Blick, wird entsprechende Maßnahme einleiten und hat dies zum Teil schon getan.“ Details könne er aber derzeit nicht bekannt gegeben, da es sich um ein laufendes Verfahren handele.