Gralf-Edzard Habben, der Bühnenbildner des Theaters an der Ruhr, über seinen Beruf. In wenigen Tagen wird der langjährige Weggefährte Roberto Ciullis 80 Jahre alt. Im Gespräch blickt der ehemalige Gruben- und Schienenarbeiter auf seinen Lebensweg zurück.
Gralf-Edzard Habben sitzt in seinem Arbeitszimmer, das eigentlich gar kein Zimmer ist. Sondern eine Empore. Unter ihr ist der Malersaal, in dem man die Bühnentechniker arbeiten hört. Ich hatte, als das Haus hier am Raffelberg für uns umgebaut worden ist, die Möglichkeit, Einfluss auf die Planungen zu nehmen. Seitdem arbeitet Habben hier auf diesem Balkon. Ein großes Modell für die nächste Inszenierung steht auf einem Schrank. Man kann erkennen: Auf der Bühne soll ein Schwimmbecken installiert sein. Habben hat gerade an den Ornamenten der Fliesen gemalt, die das Becken einrahmen sollen. Ich finde den schmutzigen Daumen wichtig. Und als Habben seine Hand hebt, ist dieser tatsächlich mit etwas Farbe bekleckert.
Die Daumen haben eine besondere Bedeutung in seiner Lebensgeschichte: 1952 verdient Habben in Moers seinen Lebensunterhalt als Schienenarbeiter. Von der Schule ist er ohne Abitur geworfen worden. Er will Maler werden. Doch an der Krefelder Werkkunstschule wird er abgelehnt. Erst später wird Habben es beim zweiten Versuch dank einer Begabtenprüfung schaffen. In der Zwischenzeit heißt es, Geld zu verdienen: Erst Untertage, dann im Straßenbau und jetzt eben an den Bahngleisen: Auf ein bestimmtes Kommando hin wurden die Schienen vom Wagen gehoben. An einem Tag sind meine Daumen dabei zwischen zwei solche Schienenstücke geraten. Und da hätte tatsächlich jegliche Künstler-Karriere vorbei sein können.
„Aber ich wollte doch Maler werden“
Denn der Arzt im Krankenhaus sagt: „Amputieren. Aber ich wollte doch Maler werden. Als ich ihm das gesagt habe, sah er mich ungläubig an. Und schließlich hieß es: ,Sie können dran bleiben.’ Das war sieben Jahre nach Kriegsende und ich dachte mir, so war das wahrscheinlich früher auch im Lazarett hinter der Front
. In dieser Episode stoßen so zwei Lebensthemen Habbens aufeinander. Zuerst das große, das belastende, mit dem sich alle Mitglieder seiner Generation in irgendeiner Weise auseinandersetzen mussten: der Krieg. Das andere - und dafür steht der „schmutzige Daumen“ quasi symbolhaft - ist die Freude an seinem Beruf, sein Glück, diesem Handwerk nachgehen zu können.
Ich mag das Haptische, das ich etwas fühlen kann. Als Kind hatte ich ein Lieblingsspielzeug: Ein Kasten mit kleinen Ziegelsteinen, für die konnte man sogar einen Zement zusammenrühren. Und dann konnte ich bauen. Im Grunde mache ich heute nichts anderes. Seinen Auftrag als Bühnenbildner versteht er so: Der Schauspieler ist der absolute König. Als Bühnenbildner habe ich eine dienende Funktion. Er ist es, der den Schauspielern ihren Raum zum Spielen gibt.
Beim Theater den persönlichen Spiel-Raum gefunden
Wenn man aber die Freude und die Leidenschaft sieht, mit der Gralf-Edzard Habben seinem Metier nachgeht, dann kann man auch sagen: Auch er hat hier auf seiner Balkon-Empore seinen Spiel-Raum gefunden. Das Theater an der Ruhr ist mein Lebensmittepunkt und meine Heimat. Davon zeugt auch eine Liege, die hier aufgebaut ist. Im Zweifel kann dort auch übernachtet werden. Bei uns lässt niemand um 18 Uhr den Hammer fallen, wenn er gerade in einem kreativen Schaffensprozess ist.
Und wie sieht dieser in der Regel aus? Am Anfang lese ich das Stück - und zwar so, als ob ich es durch Zufall im Mülleimer gefunden habe. Ich lasse den Text auf mich wirken und über Reizwörter entwickele ich eine Idee. Dann entstehen erste Bühnen-Modelle. Darüber tausche ich mich dann mit Roberto aus.
„So etwas gibt es an keinem anderen Theater“
Gralf-Edzard Habben und Roberto Ciulli arbeiten seit 46 Jahren zusammen. 1968 haben sie sich am Göttinger Theater kennengelernt. So etwas gibt es an keinem anderen Theater. Das ist einzigartig. Wenn ich eine gute Suppe koche, dann würzt Roberto sie mit einer Prise von irgendetwas, und sie wird richtig gut.
Habben und Cuilli verbindet aber auch der gleiche Geburtsjahrgang: 1934. Und da ist wieder jenes andere Thema: der Krieg. Roberto hat ihn in Mailand erlebt, erst den Bombenkrieg und später die vorrückende Rote Armee in Sachsen. Wir sind beide in einer Diktatur aufgewachsen. Ich bin als Kind unglaublich indoktriniert worden. Wenn heute, beim Fußball et wa, unsere Nationalhymne gesungen wird, denke ich immer beim letzten Ton, gleich kommt das Horst-Wessel-Lied.
Besondere Premiere im Herbst
Dieses Gefühl der Angst halte zwar immer nur kurz an, aber es zeige ihm immer wieder, wie stark diese Diktatur- und Kriegserfahrung in ihm steckt. In jedem meiner Bilder, auch wenn ich es gar nicht bewusst tue, steckt ein Verweis auf diese Zeit. Auch dann, wenn den manchmal niemand anderer außer ihm sehe.
Im Herbst dieses Jahres wird Habben eine Premiere der besonderen Weise erleben: Ich werde zum ersten Mal inszenieren. Und zwar: Hamlet. Ich habe eine seltsame Verbindung zu dieser Figur. In den 50er Jahren hatte ich mal einen Traum. Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern. Ich weiß nur noch, ich habe dann ein Bild gemalt mit dem Titel
„Ich bin der König von Dänemark“.
Das ist mir aber erst vor einigen Jahren wieder eingefallen. Damals war ich schwer krank, hatte sogar einen Herzstillstand. Als ich auf der Intensivstation wach geworden bin, sah ich dass Menschen um mich herum standen. Sie wirkten auf mich alle wie Figuren aus dem Stück. Gralf-Edzard Habben ist schon mitten in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Stück.
Das Besondere wird sein, dass ich auch das Bühnenbild entwerfe. Ich muss also in einem Dialog mit mir selbst treten. Ich muss mein eigener Advocatus diaboli sein. Ich bin gespannt, wie das wird. Dieses mal fehlt also die Prise Ciulli. Das Ergebnis wird demnächst am Staatstheater Kassel zu sehen sein.