Mülheim an der Ruhr. . Diplom-Ingenieur Jens Weidenmüller hat als erster an der Hochschule Ruhr West promoviert– in Kooperation mit der Technischen Universität Chemnitz. Sein Lebenslauf ist nicht eben gradlinig, doch erfolgreich. Die erste unerwartbare Wendung nahm sie durch den Mauerfall im Jahr 1989.
Es gab einige Umbrüche im Leben des Jens Weidenmüller: Der erste, und wohl radikalste, widerfuhr ihm in jungen Jahren. Aufgewachsen in Reichenbach nahe Zwickau erlebte der Neunjährige den Mauerfall mit. Die Wende fiel in seine Schulzeit und beeinflusste diese unmittelbar: Der Junge stand gerade vor dem Wechsel zur weiterführenden Schule – und weil keiner so genau wusste, was auf dem Gymnasium nach neuem West-Maßstab verlangt werden würde, war die Unsicherheit groß.
Ein guter Notenschnitt wurde angesetzt und für alle, die diese hohe Hürde nicht direkt nehmen konnten, gab es eine Aufnahmeprüfung. „Die aber haben von 200 Schülern gerade drei geschafft“, erinnert sich Weidenmüller. So landete er auf der Realschule und machte später eine Lehre zum Fliesenleger. Nichts deutete darauf hin, dass er eines Tages gewissen Ruhm in einer Stadt namens Mülheim an der Ruhr erlangen sollte: als erster Diplom-Ingenieur nämlich, der an der Hochschule Ruhr West promoviert hat.
Den originellen Doktorhut, den Kollegen ihm gebastelt haben, hat Jens Weidenmüller dabei, als er zum Pressetermin erscheint. Die sperrige Kopfbedeckung gibt einen ersten Eindruck von seinem (komplizierten) Fach: Ein Kabel baumelt vorn hinab und auch anderes elektronisches Equipment ziert sein Haupt.
Als Akademiker zwischen Malochern
Wie lassen sich Stahlstäbe in Warmwalzwerken möglichst optimal herstellen? Mit dieser Frage hat sich Jens Weidenmüller in den vergangenen Jahren beschäftigt. Und in diesem Bereich hat er auch promoviert. Den Doktortitel allerdings hat er sich nicht allein am Schreibtisch verdient, sondern auch zwischen Malochern im Stahlwerk.
Mit Blaumann, Sicherheitsschuhen und Helm machte er sich dafür tagtäglich auf den Weg zur Arbeit. Eine Erfahrung, die er nicht missen möchte, und die ihn an seine Zeit auf dem Bau erinnerte. In der Hitze des Stahlwerks erlebte Weidenmüller eine ganz besondere Arbeitswelt, „eine raue, aber schöne Umgebung mit einem deftigen Umgangston“.
An einer Walzstraße bei Arcelor Mittal in Duisburg entwickelte der Wissenschaftler für die SMS Meer GmbH ein Messsystem, welches glühende Stahlstäbe berührungslos mit einer Genauigkeit von wenigen Mikrometern vermessen kann. Eine Technik, die es ermöglicht, Fehler am Stab noch im glühenden Zustand zu erkennen und zu beheben.
Sei kurzem arbeitet Weidenmüller am Fraunhofer Institut in Duisburg und beschäftigt sich dort u.a. mit Drucksensorik in Herzpumpen. Er ist zurückgekehrt zu seinen Wurzeln als Medizintechniker.
Doch zurück zur Geschichte der Umbrüche: Während seiner Jahre auf dem Bau habe er zwar gelernt, „wie man als Mann ein Haus bauen kann“, doch auch erfahren, dass das Handwerk allein ihn nicht ausfüllt. Es folgte Umbruch Nummer zwei, der den Grundstein legt für die akademische Karriere: Weidenmüller holte das Abitur nach – und studierte Medizintechnik an der Fachhochschule Koblenz. Um Physik ging’s dabei vor allem, und genau das reizte ihn: „Naturwissenschaften liegen mir; im Vergleich zu anderen musste ich dafür wenig lernen.“
Der Student landete als Hilfskraft im Labor für Sensortechnik und optische Messtechnik von Prof. Jörg Himmel – der Weg nach Mülheim war geebnet. Himmel nämlich wechselte 2010 an die HRW, und nahm den Zögling gern mit. Dieser hatte derweil noch ein „lustiges“ Semester in London verbracht – in einer WG mit elf Stundenten aus aller Herren Länder – und seine Diplomarbeit fertiggestellt. Das nächste Ziel hieß Doktor-Titel. Weil eine Promotion an der HRW jedoch nur mit Kooperationspartner möglich ist, machte er sich auf die Suche. Und fand eine nette Professorin an der Technischen Universität Chemnitz, deren Forschungsgebiet bestens zu dem seinen passte.
Seit April gilt Weidenmüller als erster HRW-Promovend. Das Beste an seiner Story ist für ihn dieses: „Meine Eltern haben nie Druck aufgebaut, mich immer spüren lassen, dass sie genauso stolz wären, wenn ich Fliesenleger geblieben wäre. . .“