Die geringe Wahlbeteiligung bei den Integrationswahlen zeigt Enver Sen, dass sich etwas ändern muss. Der Vorsitzende des Integrationsrates beklagt die Abhol-Mentalität. Yamna Röfke hat ganz andere Sorgen mit dem System.

Am Sonntag waren nicht nur Kommunal- und Europawahlen, sondern auch über den künftigen Integrationsrat wurde abgestimmt. Doch von den rund 24 000 wahlberechtigten Einwanderern haben lediglich gut 4000 ihre Stimme abgegeben. Zwar liegt damit der Schnitt sogar etwas höher als beim letzten Mal und auch über dem Landestrend, doch trotzdem: Für den bisherigen Vorsitzenden des Integrationsrates, Enver Sen, zeigt sich hier deutlich, dass sich in der Einwandererpolitik etwas ändern muss. Er bringt es auf die Formel: „Es gibt eine zu starke Abhol-Mentalität.“ Zu wenige Migranten würden von sich aus ihr Wahlrecht wahrnehmen und müssten daher mühsam mobilisiert werden. „Das muss sich ändern.“

Oft verlasse man sich zu sehr auf die Strukturen, die durch die verschiedenen Einwanderervereine vorhanden sind, und gehe davon aus, dass deren Vertreter auch automatisch für die politischen Interessen der Menschen in ihrem Umfeld eintreten würden. Sen wünscht sich, dass die einzelnen Wähler bei ihrer politischen Meinungsbildung unabhängiger von solchen Strukturen werden.

Ein anderes Beispiel: Yamna Röfke. Die 36-jährige Tunesierin lebt seit vier Jahren in Mülheim. Auch sie bekam eine Wahlbenachrichtigung und sie wollte sich informieren. Auf der städtischen Homepage habe sie zwar eine Auflistung der zehn Gruppen und fünf Einzelbewerber gefunden, aber nirgendwo einen Hinweis darauf, für welche Positionen diese Bewerber eigentlich antreten. „Ein Wahlkampf findet aus meiner Sicht nicht statt“, sagt Röfke. Sen verweist zwar auf mehrsprachige Flyer und Plakate - aber haben diese Materialien wirklich die Wähler, die nicht bereits in den Vereinen oder Gruppen organisiert sind, erreicht? Und auch zwei Verteilaktionen auf dem Kurt-Schumacher-Platz haben offensichtlich die Mehrheit der Wahlberechtigten nicht erreicht. Gleichzeitig beweist das Beispiel Yamna Röfke, dass es sehr wohl politisch interessierte Einwanderer gibt. Sie übt auch an der Integrationspolitik mit dem Sprachkurssystem Kritik. Zu bürokratisch, ohne auf individuelle Probleme einzugehen, kritisiert sie.

„Den Sozialmanagern fehlt eine Idee“ , sagt Yamna Röfke. „Sie verwalten bloß“. Dieser Satz ist die Bilanz, die die 36-jährige Tunesierin nach vier Jahren in Integrationskursen zieht. Es ist für sie eine traurige Bilanz: Denn verwaltet wird in diesem Fall nicht irgendwas, sondern sie. Es geht um ihre Zukunft. Davon, wie diese aussehen soll, hat sie eine konkrete Vorstellung. Nur sie kann diese nicht umsetzen: „Und manchmal befürchte ich, dass deswegen meine Motivation nachlässt.“

Dabei ist es doch eigentlich genau das, was von den Einwanderern erwartet wird. Dass sie eine Idee davon hat, wie sie in Deutschland ihre Zukunft gestalten wollen. Es wird von diesen Einwanderern viel erwartet. Sollen es doch qualifizierte Einwanderer sein, die den Fachkräftemangel ausgleichen und den Wirtschaftsstandort sichern. Yamna Röfke ist qualifiziert - in Tunesien hat sie einen Master in Anglistik gemacht. Sie wäre dort Lehrerin geworden. Aber ihr Abschluss wird in Deutschland nicht anerkannt. Das wusste sie, als sie vor vier Jahren nach Mülheim gekommen ist. Ihr Ziel: Möglichst schnell den Abschluss an der Uni nachholen. ‘“Ich dachte, dass das schnell geht“. Jetzt bewegt sie sich schon seit vier Jahren im Kurssystem für Einwanderer. „Wenn ich mit meinem Vater in Tunesien telefoniere, wundert der sich immer, dass ich noch nicht weitergekommen bin. Meine Schwestern, die auch studiert haben, arbeiten dort schon lange“, stellt sie ernüchtert fest..