Ein Stadtrat ist zwar kein Parlament mit seinen oft ideologisch motivierten starren Fronten. Gleichwohl benötigt auch ein Stadtrat erstens für seine Arbeit ein gewisses Maß an Verlässlichkeit und zweitens: am Ende muss schlicht irgendwann mal irgendwas entschieden werden. Und genau da wüssten Ratsfraktionen liebe vorab, auf wen und was sie buchstäblich zählen können.
Der entscheidungsoffene, der diskutierende Rat, das hat sich schon seit 2009 als Trugbild erwiesen. Die Realitäten und der straff strukturierte politische Alltag aus Anträgen, Abstimmungen und Vorlagen sind viel stärker als das Vermögen, Unsicherheit aushalten zu können. Hinzu kommt: Unter dem Anspruch der Neutralität gibt meist die Stadtverwaltung Tempo und Themen vor - und Behörden wüssten allemal gerne vorher, was hinten rauskommt. Das ist durchaus parteipolitisch getrieben, sicher, viel mehr aber ist es der Drang, etwas „zu Ende zu bringen“, dem Sachzwang zu folgen, „Projekte“ umzusetzen.
Wie es nicht läuft
Also: Die Vorstellung, jemand habe eine Idee, werfe sie in den (Rats)Raum, alle debattieren sachkundig und vorurteilsfrei darüber, um letztlich der besten Variante mit Mehrheit zum Durchbruch zu verhelfen, diese Vorstellung gab es bislang nur in der Theorie.
Das wirft die Frage auf: Wer kann mit wem was? Welche Partnerschaften oder Bündnisse sind überhaupt möglich?
Gehen wir es durch. Die Oberbürgermeisterin mitgerechnet braucht eine Entscheidung im Rat 28 Stimmen. Das also ist die Maßzahl.
Variante 1, große Koalition: SPD (17 Mandate) und CDU (15 Mandate). Hätten zusammen 32 Sitze, mit OB Mühlenfeld sogar 33. Eine komfortable Mehrheit, wie es sie zuletzt bei allen Haushaltsverabschiedungen gab, aber auch bei allen Ruhrbania-Fragen und letztlich auch in der Untätigkeit gegenüber Problemfeldern wie Verkehrsführung oder Nahverkehr.
Der Vorteil: die Verlässlichkeit. SPD-Primus Dieter Wiechering redet schon von „stabilen“ Bindungen, die er anstrebt. Wechselnde Mehrheiten, fand er schon immer, sind „Mist“.
Die Nachteile: Von den Mühen, in einer Elefanten-Ehe Profil zu zeigen, können alle ein Lied singen, die je in einer Großen Koalition saßen. Strategisch ist also klar, dass die CDU in einer dauerhaften oder auch nur schwerpunktmäßigen Bindung mit der stadttragenden (und im Übrigen genau dafür abgestraften) SPD nur verlieren kann. Früher waren die Prozentabstände zur SPD für die CDU so groß, dass dieses Argument intern nicht wirklich Nachhall fand, frei nach dem Motto: Hat doch sowieso keinen Sinn. Jetzt aber ist die CDU in Schlagdistanz und hätte bereits bei der OB-Wahl 2015 die Chance, ganz nach vorne zu kommen.
Prognose: Die SPD wird bitten und betteln. Die CDU wird lächelnd ablehnen.
Variante 2, SPD (17) und Grüne (6) und Linke (2) und FDP (3). Macht: 28, auch ohne OB. Damit erschöpft sich der Realitätsbezug einer solchen Idee aber auch schon. Das liegt weniger an der alten Abneigung zwischen Grün und FDP oder der programmatischen Unmöglichkeit, liberales und linkes Gedankengut zusammenzubringen - sondern vor allem daran, dass die verjüngten Grünen inzwischen viel besser mit Christdemokraten sprechen können. Warum das so ist, ist noch schneller gesagt: „Die sprechen offen mit uns“, sagen die Grünen. Aus demselben Grund verbietet es sich, irgendwelche Annäherungen zwischen SPD und MBI auch nur zu denken.
Variante 3, die Anti-SPD-Koalition aus CDU (15) und Grünen (6) und MBI (5) und ... tja, das ist das Problem. Das sind nur 26, nehmen wir also mal die FDP dazu (3). Macht 29, egal, was die OB macht.
Der Vorteil: Es wären jene zusammen, die mehr oder minder entschlossen sind, die Macht der SPD und der Oberbürgermeisterin zu brechen und das bei dem Aus für die Zukunftsschule und in der Folge für die Hauptschule Bruchstraße auch schon erfolgreich geschafft haben.
Der Nachteil ist erstens für die FDP: SPD ärgern ist okay, an mehr aber dürfte die sozialliberale Linie um Christian Mangen kein Interesse haben. Es sei denn, die Einsicht, in einem Existenzkampf zu sein, führt dazu, keine Freunde mehr zu kennen. Zweites Problem: MBI und Grüne. Partiell hat das mal funktioniert, auf Dauer trennt die beiden eine Grundhaltung. Die Grünen wollen gestalten, die MBI will das nicht. Außerdem ist der jungen Garde der Grünen sehr wohl bewusst, dass im Wählerreservoir der MBI jene Prozentpunkte schlummern, die sie von einem Ergebnis jenseits der 15 Prozent trennen.
Prognose: Nicht unmöglich. Um es zu verwirklichen bräuchte es aber Vertrauen unter Personen. Auf CDU-Seite hieße das konkret: ein Fraktionschef Heiko Hendriks könnte es schaffen, ein Fraktionschef Wolfgang Michels nicht.
Was machen die Ungebundenen?
Natürlich sind weitere Bindungen und Verbindungen möglich. Immerhin gibt es mit der AfD sogar eine weitere Fraktion. Dass die für die SPD ein ernsthafter Gesprächspartner ist, das glaubt nicht mal die AfD. Und CDU mit AfD? Thematisch nicht ausgeschlossen, aber aus zwei Gründen schier undenkbar. Zum einen ist AfD-Chef Jochen Hartmann lange CDU-Mann gewesen und mit vielen in seiner alten Partei heillos zerstritten. Zum anderen müsste die AfD dann ihren Wählern erklären, warum ausgerechnet die Euro-Partei auf kommunaler Ebene eine prima Alternative ist.
Vollends unklar wird es bei den drei Einzelvertretern von WIR AUS, Bündnis für Bildung und Piraten, die allesamt unklug beraten wären, sich irgendwo als Mehrheitsbeschaffer anzudienen. Wer den Rat „aufmischen“ und „transparent“ machen will (Piraten O-Ton), sollte und wird einen anderen Weg wählen.