Als der Zweite Weltkrieg begann, war ich gerade acht Jahre alt und ging in die Schule an der Zunftmeisterstraße. Wir, meine Eltern, meine Schwester und ich, wohnten an der unteren Wallstraße in der Mülheimer Innenstadt. Dort hatten meine Eltern ein Gemüsegeschäft und auf dem Wochenmarkt einen Verkaufsstand.
Das war bis zum Jahr 1942. Da wurde mein Vater eingezogen, wurde Soldat, und wir mussten unseren Pkw mit Anhänger an die Wehrmacht abgeben. Somit konnten wir nicht mehr für das Geschäft einkaufen und mussten es schließen. Ich kann mich noch erinnern, dass meine Mutter immer Waren für die Kunden jüdischen Glaubens zurückgelegt hat, denn die Leute durften erst spät einkaufen und dann war nichts mehr da.
Die Luftangriffe der Alliierten auf deutsche Städte begannen Mitte des Krieges. Die Innenstädte mit der Zivilbevölkerung wurden hart getroffen. Bei Alarm gingen wir mit Notgepäck in den Rathauskeller. Tagsüber während des Schulunterrichts, flüchteten wir Schüler in den Luftschutzkeller der Schule. In der Nacht vom 22. zum 23. Juni 1943 war aber alles anders. Da machten die feindlichen Bomber das, was sie schon vorher durch Flugblätter angekündigt hatten: „Mülheim liegst Du auch im Loch, wir finden dich doch.“
Mein Vater hatte gerade Heimaturlaub. Meine Eltern und ich schliefen. Meine kleine Schwester, gerade vier Jahre alt, war bei unserer Tante in Oberhausen untergekommen. Da heulten plötzlich nachts die Sirenen. Ich bekomme noch heute eine Gänsehaut, wenn ich einen ähnlichen Ton höre. Meine Mutter und ich liefen wieder in den Rathauskeller. Mein Vater jedoch blieb im Haus zurück. Dann kamen sie, die Bomber, beladen mit Sprengbomben, Landmienen und Brandbomben. Die Bomber warfen alles flächendeckend über Mülheim ab.
Vater rettete gelähmten Mann
Unser Haus an der Wallstraße, wo mein Vater noch war, wurde getroffen und brannte. In der obersten Etage wohnte ein gelähmter Mann. Mein Vater rannte die Treppe hoch, trug den Mann und brachte ihn durch die brennende Stadt zum Polizeirevier an der Schollenstraße. Welch ein Glück für ihn, dass mein Vater Urlaub hatte und zu Hause war. Nach der Entwarnung holte mein Vater meine Mutter und mich aus dem Rathauskeller. Uns schlug eine große Hitze entgegen, als wir nach draußen kamen. Alles brannte. Das Rathaus, die Häuser rundherum außer der Gaststätte Kaiser am Rathausmarkt.
Wir liefen in die Ruhranlagen und legten uns auf den Rasen, der durch die Hitze der brennenden Häuser erwärmt war. Am Morgen danach, unser Haus war abgebrannt, gingen wir zu meinen Großeltern zur Eppinghofer Straße. Das Haus war auch zerstört, aber an einem verkohlen Pfosten hing ein Zettel mit der Aufschrift „Wir leben und laufen nach Styrum“ (zu ihrer Tochter).
Wir liefen dann auch gemeinsam nach Styrum zu Verwandten. Deren Haus stand noch, so dass wir erst einmal dort bleiben konnten.
Mein Vater blieb noch ein paar Tage bei uns, dann musste er zurück an die Front – nach Russland. Meine Mutter, meine Schwester und ich wurden nach Schlesien evakuiert. Von dort mussten wir Ende des Krieges vor den Russen wieder zurück ins Ruhrgebiet flüchten. Mein Vater kam schließlich 1946 völlig abgemagert und krank aus russischer Gefangenschaft zu uns zurück.
Ich bin jetzt 83 Jahre alt und wohne in einem denkmalgeschützten Haus von ca. 1895 nahe der Mülheimer Innenstadt, es ist das Haus meiner Großeltern. Auch dieses Haus wurde durch den damaligen Angriff sehr beschädigt – aber es ist stehen geblieben.