Mülheim. 60 Jahre Partnerschaft mit nordenglischer Stadt hat solide Strukturen geschaffen. Aktive und ehrenamtliche Vereinsarbeit füllt die Begegnungen mit Leben. Kompetenzteamleiter Manfred Krister berichtet über seine ehrenamtliche Tätigkeit für den Förderverein

Bereits wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg begann Mülheim, wie andere europäische Städte, mit der freundschaftlichen Kontaktaufnahme zu den ehemaligen Kriegsgegner-Ländern. Die Menschen sollten sich wieder näher kommen, Feindschaften vergessen. Der Kontakt der Mülheimer Bürger, Politiker und Vertreter der Wirtschaft zu den mittlerweile sechs Partnerstädten hat sich über sechs Jahrzehnte etabliert, nicht zuletzt dank des großen Engagements der Mitglieder des „Vereins zur Förderung der Städtepartnerschaften der Stadt Mülheim an der Ruhr“, 1995 gegründet.

In dieser Serie im Vorfeld der Europawahl am 25. Mai berichten sechs „Kompetenzteamleiter“ des Vereins über ihre Motivationen und Erlebnisse der ehrenamtlichen Tätigkeit.

Den Anfang macht Manfred Krister, der sich mit einem Team um den Bürgeraustausch mit der nordenglischen Stadt Darlington kümmert, die 1953 Mülheims erste Partnerstadt wurde.

Christmas-Pudding für den Markt

Manfred Krister hat seinen Kindern die England-Leidenschaft zu verdanken. „Mein Sohn war 13, als er uns zu unserem ersten Urlaub in Hastings überredet hat. Danach waren alle begeistert – und die Kinder sind, wie meine Frau, Englischlehrer geworden“, sagt der stellvertretende Leiter des Berufskollegs Lehnerstraße, der seit kurzem im Vorruhestand ist.

Da lag es nahe, dass sich der Pädagoge, nachdem er viele Jahre Schülerreisen initiiert und begleitet sowie den Austausch von Praktikanten in die Partnerstädte organisiert hatte, seine freie Zeit nun mit der Leitung des Kompetenzteams Darlington ausfüllt.

Im vergangenen Jahr des 60. Partnerschaftsjubiläums mit der nordenglischen Stadt wurde ihm allerdings klar, wie viel Arbeit der Job bedeutet – obwohl sich, „inklusive der Ehefrauen“, so Krister, in seinem Kompetenzteam zwölf Personen engagieren. Zu Beginn des letzten Jahres habe er eine Privatreise nach Darlington unternommen, um Freunde zu besuchen. Viele Waren für den Adventsmarkt habe er bereits auf dem Rückweg mitgenommen. „Viele Mülheimer kamen eigens wegen Chutney, Tee und Christmas-Pudding zum Adventsmarkt – und wollten natürlich ihre englische Bekannten treffen“, so Krister. Thomas Nutt, Ratsmitglied und Vorsitzender der „Town Twinning Association“ in Darlington, sei wie immer dabei gewesen. Er könne nur staunen, wie viele Mülheimer Tom kenne.

Jubiläum wurde intensiv gefeiert

Dann fand im Sommer die Bürgerfahrt nach Darlington und der Besuch der Engländer in Mülheim statt. Die Gruppe sei zweigeteilt gewesen. Ein dreitägiger Markt im Forum bot tolle Darbietungen von Musikern beider Städte. Stände wurden von Mülheimern umlagert, alte Bekannten trafen sich. Zeitgleich gab es ein ausgefeiltes Ausflugsprogramm mit anschließenden Abendessen in Familien und einem feuchtfröhlichen Abend in Dümpten.

„Davor habe ich wochenlang halbtags an den Vorbereitungen gesessen“, betont Krister. Für Menschen, die im Beruf stehen, nicht zu schaffen. Die Trennung zwischen den offiziellen städtischen Jubiläumsterminen und den Aktivitäten des Fördervereins bedauert er sehr, ebenso die im Vergleich zu früheren Jahren reduzierten Hilfestellungen seitens der Stadt. „Früher war einfach viel mehr möglich!“, hält er fest.

Infos zu Darlington, Großbritannien

Lage: Darlington liegt in der nordenglischen Grafschaft Durham, im Tees Valley, etwa 120 Kilometer südlich der schottischen Grenze und 80 km nördlich der Stadt York

Einwohner: rund 105 000 (2012)

Wirtschaft: Schwerindustrie (Stahl- und Maschinenbau) sowie Verpackungs- und Kunststoffindustrie

Sehenswürdigkeiten: historisches Zentrum, landschaftlich reizvolle Umgebung (Yorkshire Dales, Lake District), Eisenbahnmuseum (Locomotion Nr. 1 von Robert Stevenson)

Weitere Partnerstädte: Amiens (Frankreich

Homepage: www.darlington.gov.uk

Darlington fasziniere ihn immer noch. Die nordenglische Region sei vielseitig, landschaftlich herrlich. Am meisten begeisterten ihn allerdings die freundlichen und interessierten Menschen. „Man kommt sofort mit ihnen ins Gespräch“, sagt Krister.

Jugendaustausch nimmt hohen Stellenwert ein

Der Austausch zwischen Mülheimern und Bürgern der sechs Partnerstädte läuft, denn „im Jahr 2013 sind mit 30 Förderanträgen so viele wie niemals zuvor eingegangen“, weiß Hans-Dieter Flohr, Geschäftsführer des Fördervereins. Schüler fast aller Gymnasien, der Realschulen und Berufskollegs, des Jungen Theaters an der Ruhr, Chöre oder die Wohlfahrtsverbände nutzen die Zuschüsse des Fördervereins gerne. Manche Fahrt wäre wohl nicht realisierbar, gäbe es den Verein nicht. „Mit rund 20 000 € jährlich unterstützen wir die Aktivitäten in Mülheim und die Fahrten in unsere Partnerstädte“, sagt Flohr.

Sechs Partnerstädte für eine Stadt von Mülheims Größe seien eine ganz ordentliche Sache. „Kritische Stimmen werfen uns vor, wir seien zum Touristenverein verkommen. Das stimmt aber keinesfalls“, betont Flohr. Davon zeugten internationale Jugendbegegnungen wie das Theater-Projekt „Fatzer“ oder große Sportveranstaltungen. Der Schüleraustausch läuft intensiv – in alle Richtungen. „Es gibt Lehrer, wie Manfred Krister, die sich da total reinhängen,“ so Flohr.

„Auch wenn Schülerbegegnungen nur kurze Zeit dauern oder Praktika selten länger als drei Wochen – für die Entwicklung des Selbstbewusstseins und der Sprachkenntnisse der jungen Menschen sind diese Reisen eine große Chance“, findet Manfred Krister. Er bemüht sich mit Lehrerkollegen um den Praktikantenaustausch.

„Wir können vom Berufskolleg Lehnerstraße und anderen Schulen Schüler in alle europäischen Partnerstädte vermitteln“, sagt der Pädagoge, und aus den meisten Städten kämen Praktikanten nach Mülheim. Das sei möglich mit europäischen Leonardo-Projekt-Mitteln und bislang noch mit Unterstützung der Leonhard-Stinnes-Stiftung. In diesem Jahr kämen polnische und französische Praktikanten, vielleicht einige Finnen. „Praktikanten aus Darlington konnten wir leider noch nicht zu einem Aufenthalt in Mülheim bewegen, umgekehrt ist Darlington bei unseren Schülern aber sehr beliebt“, so Krister. Ausnahme sei der Austausch zwischen Darlington und Siemens.