Lothar Wessolly lebt in Stuttgart. Er hat also hautnah miterlebt, wie aus Bürgern Demonstranten werden. So hat der Baum-Experte, der für die Stadt das Gutachten über die sechs Silberlinden in der Cheruskerstraße und am Schloßberg verfasst hat, ein Prinzip verinnerlicht, das dabei helfen soll, solchen Unmut erst gar nicht aufkommen zu lassen. Es klingt ganz einfach: möglichst umfassende Information.

Und obwohl, wie sich hier zeigt, guter Wille vorhanden war, ist es aber genau zu diesen Protesten gekommen. Heute beginnt das Grünflächenamt damit, die Bäume zu fällen. Und die Anwohner sind wütend. Wenn man länger mit Gutachter Wessolly in seinem Stuttgarter Büro telefoniert hat, stellt sich die Einsicht ein, dass es soweit nicht hätte kommen müssen. Warum es dann doch anders kam, zeigt ein Satz in seinem Gutachten: „Letztlich ist das eine Abwägung der politischen Gemengelage“ Kurz: Es hätte auch eine Alternative gegeben. Doch die hätte eben politisch gewollt werden müssen.

Die Alternative

Zwei Linden müssten in jedem Fall gefällt werden, denn sie seien ein Sicherheitsrisiko - so hatte es im ersten Teil des Fazits in Wessollys Gutachten geheißen. Dann hatte er ausgeführt, dass auch die weiteren vier Bäume in ihrem Kern krank seien und auch nicht zu erwarten sei, dass sie jemals wieder völlig gesund werden. Allerdings ginge von ihnen keine akute Gefahr aus. Deswegen könne es vorerst ausreichen, sie zu stutzen. Hier müsse eben die Politik entscheiden. Wessolly hätte eigentlich zu diesem Weg geraten. Denn dann hätte sich bei den Bürgern gar nicht erst das Gefühl einstellen können, ihre Allee werde in einer Art Nacht- und Nebelaktion kahlgeschlagen. „Man hätte dann mehr Zeit dafür gehabt, die Bürger über den tatsächlichen Zustand der Bäume aufzuklären. Und darüber diskutieren können, wie die kranken Bäume ersetzt werden.“ Dass dieses Vorgehen erfolgreich ist, konnte Wessolly selbst in den letzten Tagen erleben. Denn einige der erbosten Anwohner riefen auch bei ihm im Büro an.

Wenn er ihnen allerdings dann in Ruhe den Sachverhalt erläuterte, zeigten sie meist Verständnis. „Sie haben gemerkt, dass ich kein Abholzer bin. Ich bin Verfechter der Linie: So lange es irgend möglich ist, den Baum zu retten, sollte man dies auch tun. Heute würde man Silberlinden allerdings nicht mehr in der Stadt pflanzen. Sie sind für so ein Quartier ungeeignet.“ Wessolly verdeutlicht das am Wuchs dieser Baumsorte: „Die Silberlinden sind oben pinselförmig. Die Äste schwenken so immer im Wind.“ Die Folge: Die Wurzeln lockern sich schnell aus dem Boden. In Münster, so der Gutachter, habe man schon vor vielen Jahren daraus die Konsequenz gezogen und Silberlinden durch andere Bäume ersetzt.

„Es gibt immer bestimmte Trends bei den Bäumen.“ Vor 70 Jahren Silberlinde, heute Säuleneichen. „Die sollen jetzt ja auch als Ersatz dorthin. Die sind so schön schmal. Ich habe den Bürgern geraten, die mich angerufen haben, sich jetzt darum zu bemühen, sich in die Diskussion darüber einzubringen, welche Bäume dort nun gepflanzt werden sollen.“

Der letzte Versuch

Aber schauen die Anwohner schon wieder in die Zukunft? Einiges spricht dagegen. So hatten sie in letzter Minute versucht, die Fällaktion zu stoppen. Gestern hatte sich noch eine kleine Delegation aus Broich auf den Weg zum Verwaltungsgericht in Düsseldorf gemacht. Das Ziel der Aktion: eine einstweilige Verfügung, mit der die Fällung gestoppt werden kann. Doch das Gericht lehnte den Antrag ab.

Parallel dazu hatte sich ein anderer Anwohner, Stefan Stadelhoff, mit einer Eingabe an die Bezirksregierung gewandt. Doch auch er bekam aus Düsseldorf keine Hilfe. Zwar sei es grundsätzlich so, dass die rechtliche Vorgehensweise einer untergeordneten Behörde in Einzelfällen durch die Bezirksregierung überprüft werden könnte, sie sei aber nicht dazu befugt, eine eigene Sachentscheidung zu treffen, also quasi in die Mülheimer Verwaltung hineinzuregieren.

Wie ist angesichts dieser gescheiterten Rettungsversuche die Stimmung in Broich? Anwohner Jochen Nies berichtet, er habe gehofft, dass die Richter ihm „den Wunsch erfüllen, unsere alte, gewachsene Allee doch noch zu retten“. Es genüge doch völlig, zunächst nur den einen – vom Gutachter als krank bezeichneten – Baum umzuhauen und zwei weitere zu stutzen. „Für jede weitere Entscheidung sollte man sich Zeit lassen.“ Das sieht auch Nachbar Thomas Behrens so. „Ich verstehe auch nicht, warum aus dem Fall eine Hauruck-Sache gemacht wurde.“ Seines Erachtens habe die Stadt zu kurzfristig informiert – „damit sich kein Protest formiert“

Das sagt die Politik

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Bleibt schließlich die Frage, warum die politische Lösung nicht zustande gekommen ist, die Gutachter Lothar Wessolly ja offenbar erwartet hatte. „Es zeigt sich, dass die städtische Informationspolitik stark verbesserungswürdig ist“, sagt die Vorsitzende der Grünen, Heidemarie Sinn-Leyendecker.

In der Sitzung der zuständigen Bezirksvertretung am 14. März sei das Thema so kurzfristig auf die Tagesordnung gesetzt worden, „dass wir gar keine Zeit hatten, selbst zu recherchieren oder uns bei den Anwohnern zu erkundigen. Künftig werde ich solcherlei Last-Minute-Aktionen die Zustimmung oder Kenntnisnahme verweigern.“

Sie will auch schon Signale vernommen haben, dass man auch bei der Stadt die Informationspolitik zu diesem Fall kritisch betrachte. „Ich habe gehört, dass auch Dezernent Peter Vermeulen das so sieht.“

Das sagt die Stadt

Offizielle Reaktionen in dieser Richtung gibt es allerdings bisher noch nicht. So betont Stadtsprecher Volker Wiebels: „Wir bleiben bei dem, was wir gesagt haben. Wir haben die Sicherungspflicht.“ Die Entscheidung beruhe auf dem Gutachten und auf einer Fällgenehmigung der Unteren Landschaftsbehörde. Selbst der Regierungspräsident habe grünes Licht gegeben. Die Stadt habe zudem ihrer Informationspflicht Genüge getan.

„Wir haben wie üblich informiert. So wie bei allen rund 180 anderen Bäumen, die jährlich fallen, auch.“

Trotzdem: der Unmut der Bürger ist da. Was wirklich schief gelaufen ist, ist aber gar nicht so leicht zu sagen. „Eines ist klar, Mülheim ist sicherlich keine Stadt, in der schnell gefällt wird. Ich arbeite seit über 25 Jahren mit der Stadt als Gutachter zusammen. Hier herrschte schon damals ein besseres Bewusstsein dafür als woanders“, betont Gutachter Lothar Wessolly.

Woran es dann gelegen hat? Vielleicht hilft da ein Blick auf den Ursprungsberuf des Gutachters. Wessolly war nämlich, bevor er zum deutschlandweit gefragten Baumdoktor geworden ist, Flugzeugbauingenieur.

Und als Devise für eine gelungene Informationspolitik gilt vielleicht tatsächlich: Bloß nicht abheben.