„Eine Schwachstelle des deutschen Theaters“ nennt Dr. Thomas Irmer es: Nur wenige Dramatiker sind motiviert, für die Kleinen ebenso anspruchsvolles und gutes Theater zu machen wie für die Großen. Das Festival „Kinderstücke“ nimmt eben jene in den Blick, die es dennoch tun.
Es ist theatralische Nachwuchsförderung, die sonst zu kurz kommt: Parallel zum Mülheimer Dramatikerpreis wird 2014 wieder der Mülheimer Kinderstücke-Preis vergeben. Damit fördern die Veranstalter im fünften Jahr eine Sparte, die der Sprecher des Auswahlgremiums, Dr. Thomas Irmer, bei der Vorstellung der fünf Nominierten „eine Schwachstelle des deutschen Theaters“ nennt: anspruchsvolle Theaterstücke für Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren nämlich.
Die gute Nachricht vorneweg: Die drei Mitglieder des Auswahlgremiums, sagt dessen Sprecher Dr. Thomas Irmer, hatte es „diesmal etwas schwerer bei der Auswahl“. Als „gutes Zeichen für die Breitenqualität“ wertet Irmer das, denn eben da habe Deutschland großen Nachholbedarf. Er vermisst bei vielen Dramatikern den Anspruch, auch für Kinder niveauvolles Theater zu machen. Dafür brauche es nach wie vor Anreize.
Der mit 10 000 Euro dotierte Kinderstücke-Preis ist solch ein Anreiz. Vom 19. bis 23. Mai gehen beim kleinen Schwester-Festival der großen Stücke fünf Autoren ins Rennen. Ihnen allen ist laut Thomas Irmer ein scharfes Auge auf kindliche und gesellschaftliche Realitäten gemein. „Themen für Erwachsene“ würden so aus einer kindlichen Perspektive erzählt.
Soziale Ober- und Unterschicht lässt etwa Milena Baisch aufeinandertreffen und arbeitet sich dabei auch noch an geschlechtlichen Rollenklischees ab: In „Die Prinzessin und der Pjär“ (ab 8 Jahre) werden ein Mädchen aus guten Hause und Schulversager Pierre übers Wochenende in der Schultoilette eingesperrt.
Den Zweiten Weltkrieg nimmt Rudolf Herfurtner zum Ausgangspunkt, um Patchwork-Familien zu thematisieren. In „Mensch Karnickel“ (ab 11) gerät ein „kinderlandverschickter“ Junge in Kriegswirren, bevor er zu seiner sehr veränderten Familie zurückfindet.
Eine etwas andere „Flucht-Geschichte“ erzählt hingegen Michael Müller in „Draußen bleiben“ (ab 8). Roman wächst in ärmlichen Verhältnissen auf und hat einen großen Traum: Er möchte im Thomanerchor singen. Wie sich im Berufsleben geforderte Flexibilität auf Kinder auswirkt, zeigt Vorjahressieger Thilo Reffert. „Mein Jahr in Trallalabad“ (ab 6) stellt die Frage: Übersteht Freundschaft ein Jahr Abwesenheit? Als „melancholische Geschichte mit Humor“ beschreibt Thomas Irmer das Stück „Der Bär, der ein Bär bleiben wollte“ (ab 7) von Andreas Schertenleib. Darin wacht ein Bär nach seinem Winterschlaf neben einer Fabrik auf. Identitätsverlust und das Zurechtkommen in einer technologischen Welt werden so kindgerecht thematisiert.