Das sagt einer, der die organisierte Provokation ins Fernsehen gebracht hat: Vor über 20 Jahren moderierte Olaf Kracht das Krawall-Format „Explosiv - der heiße Stuhl“. Heute betreibt Kracht in Mülheim eine Agentur für Kommunikation. Mediale Aufmerksamkeit, sagt er heute, muss man sich geduldig erarbeiten.


Als Olaf Kracht vor über 20 Jahren zur Gründungsmannschaft von RTL plus gehört hat, da bedeutete dieser Privatkanal für das deutsche Fernsehen damals eine Revolution. Denn nun bekamen die öffentlich-rechtlichen Sender Konkurrenz - plötzlich flimmerte ein Programm über die Mattscheibe, das so ganz anders war. Dazu hat auch eine Sendung beigetragen, die Kracht mitentwickelt und dann auch bis Mitte der 90er moderiert hat: „Explosiv - der heiße Stuhl“ war streitlustig, oft aggressiv und laut, vor allem aber: provokant. Dort outete Rosa von Praunheim Prominente als homosexuell oder es wurde darüber debattiert, ob Rockmusik Teufelswerk sei. „Am nächsten Tag wurde über unsere Sendung gesprochen. Wir konnten Aufmerksamkeit erzeugen.“

Jetzt ist Olaf Kracht Geschäftsführer von OK Kommunikation, einer PR-Agentur, die dort sitzt, wo sich in der Stadt die Kreativwirtschaft konzentriert: in der Games Factory an der Kreuzstraße. Um Aufmersamkeit dreht sich sein Beruf immer noch. Aber anders: „Heute kann man sie nicht mehr erzeugem- Schon gar nicht durch Provokation, denn es ist alles schon mal dagewesen. Heute muss Aufmerksamkeit erarbeitet werden.“ Dazu kommt, als PR-Mann will Kracht diese Aufmerksamkeit nicht für sich erzielen, sondern für seine Kunden. Zu denen gehören unter anderem das Reiseunternehmen LTU, die Krankenkasse AOK , aber auch das Friedensdorf Oberhausen.

Wegweiser durch den Informationsdschungel

Heißt erarbeiten nicht eigentlich einfangen - und zwar im Netz? Denn dort tummeln sich ja auf unzähligen Plattformen die Menschen, dort findet jeder öffentliche Bühnen, die genau seinen Interessen entspricht. „Die Leute müssen überzeugt werden“, sagt Kracht. „Es kommt auf Glaubwürdigkeit an und auf relevante Themen. Ich arbeite da genauso wie früher auch. Hier zählt das journalistische Handwerkzeug.“ Er verbreitet zwar Inhalte im Auftrag seiner Kunden, aber ihm ist wichtig zu betonen: „Ich mache keine Propaganda. Ich verbreite Informationen.“ Und klar: die müssen stimmen.

Das heißt: Angesichts der unübersehbaren Zahl von Kanälen, über die ständig Informationen gesendet werden, gelingt es nur dem Aufmerksamkeit zu erreichen, der sicherstellt, dass die Nachrichten, die er übermittelt, seriös sind und einen tatsächlichen Wert haben. „Deswegen bin ich auch der Meinung, dass noch nie guter Journalismus so wichtig war wie heute. Denn der Journalist ist die Leitfigur durch den Informationsdschungel.“

„Werbung ist auch Information“

Und noch etwas ist anders als früher: Bei der PR sucht nicht der Konsument die Information, sondern die Nachricht ihren Leser. Eine Anzeige bei Facebook muss so gestaltet sein, dass der Richtige gleich draufklickt. Und wer der Richtige ist, das hängt eben vom Auftraggeber ab: „Bei Friedensdorf Oberhausen haben wir zum Beispiel einen 26-minütigen Film gedreht. Das ist für das Netz ziemlich langsam. Aber die Leute, die wir dort ansprechen wollen, möchten umfassendere Informationen. Schließlich überlegen die sich auch, ob sie etwas spenden wollen.“

Aber sind Anzeigen nicht grundsätzlich eher nervig? „Ich empfinde solche Beiträge als interessant, weil sie den Horizont erweitern. Werbung ist auch Information. Und zwar über Dinge, die man gebrauchen kann.“ Außerdem gelte ja auch, niemand wird zum Klicken gezwungen. Aber Interesse wecken für interessante Themen, darin sieht Kracht seine Aufgabe. „Ich glaube, dass sich hier auch etwas ändert. In den USA gibt es eine andere Netzwerk-Kultur. Da vermutet niemand, wenn ihn eine Nachricht oder eine Freundschaftanfrage bei Facebook erreicht, gleich etwas Böses. Sondern man freut sich über das Interesse.“ Gleichwohl, dass die Menschen nicht leichtfertig mit ihren Daten umgehen, findet er schon wichtig. „Ich habe sogar schon Workshops für Jugendliche gemacht, wie man Facebook so einstellt, dass nicht alle Beiträge von jedem gelesen werden können. Ich habe den Jugendlichen aber auch gesagt, dass sie im Sozialen Netzwerk präsent sein sollten. Spätere Arbeitgeber zum Beispiel suchen danach. Die wundern sich eher, wenn sie nichts finden. Es kommt aber natürlich darauf an, was man dort veröffentlicht.“

Plädoyer für Sensibilität

Kracht ist für Sensibilität beim Umgang mit persönlichen Daten, aber hält überhaupt nichts von Kulturpessimismus: „Die Vorteile von Social Media überwiegen eindeutig. Das ist doch toll, ich bin mit Menschen in Pakistan vernetzt und kann mich ohne Probleme mit ihnen austauschen. Diese Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten. Dass es in der Türkei jetzt eine Debatte über ein Facebook-Verbot gibt, ist schon sehr seltsam.“ Kracht ist sich sicher: „Dieser Netzwerk-Gedanke ist etwas unglaublich demokratisches.“ Und seine Erfahrung ist auch, dass da große Perspektiven für die Wirtschaft liegen, gerade im Ruhrgebiet: „Es geht um Ideen. Gerade hier im Ruhrpott gibt es da ein großes Potential. Ich merke das ja, weil es die Leute sind, mit denen ich zusammenarbeite. Bevor ich hierhin gezogen bin, habe ich das auch nicht gewusst. Aber ich arbeite hier gerne mit den Leuten zusammen.“ Nur leider sei die Bedeutung der Kreativwirtschaft für den Wirtschaftsstandort noch nicht allen klar. Eine Ausnahme sei die Mülheimer Games Factory. „Deswegen sind wir auch hier hingezogen.“ Auch für diese Potentiale braucht es: mehr Aufmerksamkeit.