Jedes zehnte Krankenhausbett in NRW soll bereits bis 2015 verschwunden sein. Damit will die Landesregierung das Überangebot und die Kosten begrenzen. Beiden Mülheimer Krankenhäusern täten diese Verluste allerdings nicht weh. Im Gegenteil: Sie setzen in ausgewählten Bereichen auf mehr Betten.
Der amerikanische Präsident Franklin Delano Roosevelt hat allein schon wegen seiner nicht unbedeutenden Rolle im Zweiten Weltkieg einen Platz in den Geschichtsbüchern. Dass Roosevelt zudem über einen wortscharfen Verstand verfügte und die Fähigkeit, Kompliziertes in Aphorismen zu destillieren, ist weniger bekannt. Was er von Statistiken hielt, fasste FDR gerne und bündig in einem Beispiel zusammen: Laut Statistik haben ein Millionär und ein armer Schlucker je eine halbe Million.
Mehr gesunde Skepsis gegenüber Zahlenspielen geht kaum. Und Roosevelt kannte nicht mal das deutsche Gesundheitssystem.
Das ist längst in einem Maße von Kennziffern und Rechengrößen durchdrungen, dass manche Krankenhäuser Mathematiker einstellen, um zwischen Fallpauschalen, Bewertungsmix und Bedarfsberechnungen bestehen zu können. Wie gut, wenn es in einem solchen System eine Größe gibt, die jedermann verständlich ist: Krankenhausbetten. Und von denen, so hat die rot-grüne Landesregierung vor einem Jahr verkündet, gibt es so viele, dass jedes zehnte verschwinden soll.
„Das merkt kein Mensch“
Jetzt, ein Jahr später, haben die Bezirksregierungen aus der Absicht eine Statistik gemacht, die konkret vorgibt, welches Bett in welcher Region in den Keller kommt. Für den Regierungsbezirk Düsseldorf, zu dem Mülheim gehört, sind es genau 3583 Betten, vorwiegend in Chirurgie, Innerer Medizin, Kinderheilkunde und Hals-Nasen-Ohren. Dennoch: Ein Aufschrei war und ist nicht zu vernehmen, auch bei den beiden Mülheimer Krankenhausträgern nicht. Im Gegenteil: „Diesen Bettenabbau merkt kein Mensch“, sagt auf Anfrage Nils B. Krog, Geschäftsführer der Ategris-Gruppe, zu der das Evangelische Krankenhaus gehört. Ähnlich sieht es die Contilia-Gruppe in Essen, die in Mülheim das St.-Marien-Hospital betreibt: „Das wird uns nicht wirklich berühren“, sagte Sprecherin Dorothee Renzel.
Auf den ersten Blick erstaunt die Einschätzung, auf den zweiten schon nicht mehr. Denn: Die Auslastungsquoten beider Krankenhäuser liegen bei 75 Prozent. Im nationalen Vergleich ist das bereits ein sehr guter Wert, der auch durch die Tatsache erklärt wird, dass knapp 1000 Betten (s. Grafik) gerechnet auf 168000 Einwohner nun wirklich keine Überversorgung darstellen (1400 dürften es nach dem bundesdeutschen Durchschnitt sein). 75 Prozent, das heißt aber auch: 25 Prozent der Betten werden rein statistisch ohnehin nicht gebraucht.
Über die Stadtgrenzen hinaus
Spätestens hier kommt Roosevelt ins Spiel. Denn erstens folgt die Berechnung des Bettenbedarfs längst nicht mehr den Stadtgrenzen, sondern bezieht, was absolut sinnvoll ist, nahliegende Nachbarn wie Duisburg, Essen oder Oberhausen mit ein. Und zweitens ist Bett nicht gleich Bett. Contilia-Sprecherin Renzel: „Wir werden in unseren Haus umverteilen und zwar zu Gunsten der Psychiatrie.“
Bereits im vorigen Jahr hat das St.-Marien-Hospital weitere Betten in diesem Bereich beantragt und kommt nun auf 75 vollstationäre und 30 tagesklinische Plätze. Das deckt den Bedarf für Mülheim vollständig ab. Ähnlich verfährt das Evangelische Krankenhaus: „Wir werden Betten im stationären neurologischen Bereich beantragen“, kündigte Krog an. Der Bedarf für Mülheim in diesem Bereich wird auf 35 taxiert.
Hartes Ringen um die Kennziffern
So steht dem Bettenabbau auf der einen, der Bettenaufbau auf der anderen Seite gegenüber. Der Grund: Die Politik mag öffentlich in Betten denken, die Krankenhäuser tun das schon lange nicht mehr. Die Krankenkassen zahlen nämlich nicht nach Betten, sondern nach Pauschalen. Erkrankungen und Therapien erhalten Wertungsziffern, die in einem so genannten Case-Mix das Budget des Krankenhauses ergeben. Die Folge sieht man in der Grafik: Die Patienten verweilen immer kürzer, die Zahl der Patienten steigt bei gleichbleibenden Bettenzahlen nur moderat - der Case-Mix des Evangelischen Krankenhauses aber stieg binnen drei Jahre um 7,24 Prozent. Für den Ärztlichen Direktor des Hauses, Professor Heinz-Jochen Gassel, lässt sich daran ablesen, „dass nicht so sehr die Quantität, sondern die Tiefe und die Qualität der Behandlung zunehmen.“
Die Betten-Betrachtung greift da, freundlich formuliert, viel zu kurz. Und tatsächlich: Das Ringen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen um Bewertungskennziffern und um die Einordnung neuer Behandlungsmethoden nimmt an Härte zu Das Budget für das Jahr 2013 haben die beiden Mülheimer Krankenhäuser im Januar erhalten.
Im Januar 2014.