Mülheim.. An der Waldorfschule an der Blumendeller Straße orientiert sich die Pädagogik an der Entwicklung des Kindes und nicht an festen Lehrplänen. Noten und Sitzenbleiben gibt es hier nicht, stattdessen Werkunterricht und Eurythmie.

Klar, an der Waldorfschule haben die Räume keine Ecken und die Schüler tanzen ihre Namen. Antonia muss grinsen, wenn sie diese immer wiederkehrenden Vorurteile hört.

„Wir machen uns mittlerweile selbst einen Spaß aus Sätzen wie diesen“, sagt die 18-Jährige, die dieses Jahr ihr Abitur an der Mülheimer Waldorfschule machen wird. Auch Lars, der von einer ­Regelschule hierher gewechselt ist, kennt die Voreingenommenheit mancher gegenüber der anderen Schulform. Doch der 19-Jährige sagt überzeugt: „Ich hatte hier eine gute Schulzeit.“

Manches ist auffallend anders an der staatlich anerkannten Waldorfschule in freier Trägerschaft. Etwa dies: Henry schüttelt nach der Unterrichtsstunde seiner Lehrerin die Hand. Alle ihre 25 Schützlinge verabschiedet Ines Kiwit per Handschlag – so ist es Sitte an der Waldorfschule. „Man lernt sich hier zu begegnen“, beschreibt Sonja Petersen, Geschäftsführerin der Waldorfschule, den Hintergedanken dabei. Für die Lehrer bedeute das auch: „Ich kann mich anders mit den Schülern verbinden.“

Individuelle Beurteilungen statt Noten

Etwa auch dadurch, dass ein Klassenlehrer seine Schüler in den ersten acht Schuljahren begleitet. „Dieses Klassenlehrerprinzip gibt den Kindern Verlässlichkeit und bringt sie so auch durch die schwierige Zeit der Pubertät“, erklärt Sonja Petersen. Generell sei die Pädagogik Rudolf Steiners, auf der die Waldorfschule fußt, an der Entwicklung des Kindes ausgerichtet und nicht an einem vorgegebenen Lehrplan. Ideengeber Rudolf Steiner formulierte den Ansatz so: „Das Kind in Ehrfurcht aufnehmen, in Liebe erziehen und in Freiheit entlassen.“ Didaktik und Methodik an der Waldorfschule basieren daher auch auf der anthroposophischen Menschenkunde, einer spirituellen Weltanschauung, die Steiner begründete.

Aber wie steht es mit dem Kritikpunkt, dass die Waldorfpädagogik den Kindern eine heile Welt vorgaukle und sie nicht auf die harte Realität vorbereite? Sonja Petersen dazu: „Freie Schule bedeutet nicht, dass es hier keine Regeln gibt – im Gegenteil.“ Doch der Weg der Vermittlung sei ein anderer als an der Regelschule – etwa ohne Noten und ohne Sitzenbleiben. Anstelle der Noten stehen individuelle Beurteilungen, in denen die Lehrer sowohl auf die Persönlichkeitsentwicklung als auch auf die Lernfortschritte der Schüler eingehen. Im Vordergrund stehe die seelische Entfaltung, die die Grundlage bilde für die intellektuelle Entwicklung – mit Kopf, Herz und Hand lautet das Motto der Waldorfschule Mülheim.

Und dabei soll kein Kind ausgeschlossen werden, betont Geschäftsführerin Sonja Petersen und erklärt: „Wir sind offen für jedes Kind, unabhängig von ethnischer Herkunft, Weltanschauung und Einkommen der Eltern.“ Denn anders als an Regelschulen finanzieren die Eltern die Schule mit. „Wir erhalten 87 Prozent des Budgets, was eine Regelschule vom Land erhält, haben aber höhere Kosten, etwa durch mehr Lehrer“, stellt Sonja Petersen dar. Die Differenz wird durch die Elternbeiträge ausgeglichen, die Höhe des Schulgeldes ist gestaffelt nach der Höhe des ­Elterneinkommens. Die Geschäftsführerin erklärt: „Die Solidargemeinschaft gleicht aus, wenn jemand nicht viel zahlen kann, ein anderer aber mehr.“

Die Waldorfschule verwaltet sich selbst

Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Schulen besteht an der Waldorfschule darin, dass es hier keinen Rektor gibt. Die wirtschaftlichen Belange werden von zwei Geschäftsführern betreut – Sonja Petersen ist eine von ihnen. Alles Pädagogische wird im Kollegium geregelt, in wöchentlichen Konferenzen tauschen sich die Lehrer aus. Der Unterricht orientiert sich an den vom Bund der Freien Waldorfschulen herausgegebenen Rahmenlehrplänen, die Lehrer sind in der Gestaltung des Unterrichts aber frei, betont Sonja Petersen.

Die wirtschaftliche und rechtliche Eigenständigkeit fußt darauf, dass die Waldorfschulen als freie Schulen die hierarchisch organisierte Struktur staatlicher Schulen durch eine freiheitliche Verfassung ersetzt haben. Die Selbstverwaltung geschieht durch Lehrer, Eltern und Schüler. In verschiedenen Gremien arbeiten sie zusammen an der Selbstverwaltung ihrer Schule.

Für Kinder, die nach der neuen Stichtagsregelung schulpflichtig werden, aber in den Augen ihres Umfelds noch nicht schulreif sind, bietet die Waldorfschule eine Schuleingangsstufe an. Auch noch nicht schulpflichtige Kinder können die Schuleingangsstufe besuchen, wenn die Eltern das wünschen und der Kindergarten es befürwortet. Die Schuleingangsstufe gibt den Kindern einen rhythmischen Tagesablauf mit Naturerlebnissen und handwerklich-künstlerischer Betätigung auf den Grundlagen der Waldorfpädagogik.