Es begann mit einem harmlosen Tagesbruch an der Adolfstraße. Dabei stießen Bauarbeiter auf den größten Bunker Mülheims, die im Nationalsozialismus als Schaltzentrale diente . Sie bot der Stadtspitze und der Parteiführung Schutz. Die Anlage birgt so manche Überraschung.

Auf den Notausgang des Befehlsbunkers, des größten Schutzraumes der Kriegszeit, waren Bauarbeiter vergangene Woche gestoßen. Auf einer historischen Karte des Katasteramtes, die Georg Hötger zeigt, sind die Dimensionen dieses Bunkers erkennbar, der mit dem Polizeiamt von 1939 bis 1941 an der Von-Bock-Straße gebaut wurde. Hier suchten auch die Spitzen der Stadt und der NSDAP Schutz. Die Karte ist mit den konkreten Nutzungen und Maßen versehen. Die Ausmaße des Bunkers sind riesig und belaufen sich auf etwa 50 mal 75 Meter. Wie die Darstellung zeigt, war die Fläche in zahlreiche kleine Räume unterteilt. Aus statischen Gründen waren die Flächen dazwischen sehr groß. Die Schraffur zeigt an, dass die Räume zusätzlich ausgemauert waren. An mehreren Stellen sind Toiletten vorhanden, die als Aborte bezeichnet werden. Vor den Ausgängen sind auch immer aus Angst vor Giftgas Gasschleusen eingebaut worden. Ein solcher Notausgang wurde auch an der Adolfstraße geschaffen – unweit der Stelle, an der die U-18, nachdem sie auf der Brücke den Dickswall überquert hat, im Boden versinkt. Die Baustelle befindet sich am linken Bildrand.

Bei Tagesbrüchen und eingebrochenen Stollen denkt man im Ruhrgebiet automatisch an wilden, oberflächennahen Kohlebergbau. Es gibt aber noch andere Stollen, die die Stadt an vielen Stellen durchziehen. Es sind Luftschutzstollen, die im Zweiten Weltkrieg Schutz vor den Bombenangriffen der Alliierten bieten sollten. Hans-Georg Hötger, Vorsitzender des Vereins Bunkerwelten, dessen Ziel es ist, im Hochbunker an der Meißelstraße in Styrum ein Bunkermuseum einzurichten, schätzt aufgrund vorliegender Akten und Berichten von Zeitzeugen, dass es 50 größere öffentliche Luftschutzanlagen und 500 private Luftschutzkeller gab. Einer der größten Bunker war der sogenannte Befehlsstollen an der Von-Bock-Straße, dessen Hauptzugang vom Keller des Polizeiamtes erfolgte. Dort waren Räume für den damaligen Oberbürgermeister Edwin Hasenjäger ebenso vorhanden wie für den NSDAP-Kreisvorsitzenden Karl Camphausen und weitere Beamten in Spitzenpositionen.

Größte unterirdische Anlage

Es war die größte unterirdische Tunnelanlage in der Stadt. „Die Schaltzentrale“, sagt Hötger, der davon ausgeht, dass hier 2000 Personen Platz finden konnten. Hier seien auch die Warnungen vor Luftangriffen vom Führungsbunker der Luftwaffe am Adlerhorst eingegangen und dann Alarm ausgelöst worden. Alarm gab es etwa 800 Mal.

67 Stufen in den Bunker

67 Treppenstufen führten vom Keller des Gebäudes in den Bunker – also über 12 Meter tief. Der Kern des Bunkers befand sich auf dem freien Grundstück am heutigen Otto-Pankok-Gymnasium, das damals noch Langemarckschule hieß. „Deshalb durften hier auch nur Pavillons gebaut werden“, meint Hötger. Fünf Notausgänge hatte der Bunker, die über lange, teilweise nicht ausgemauerte Stollen zu erreichen waren und vermutlich nur durch Holzbalken abgestützt wurden. Beton war knapp in Kriegszeiten, deshalb versuchte man auch die Mächtigkeit der Decken zu reduzieren.

Bunker in Mülheim

Bunkerstollen gab es mehrere: An der Freilichtbühne hatte das Ev. Krankenhaus in einem Stollen eine Bettenkapazität für 75 Patienten geschaffen, unter Haus Urge an der Bismarckstraße waren durch die Bauabteilung der Zeche Mathias Stinnes und des Mülheimer Bergwerks-Vereins ein Stollen in 25 Metern Tiefe angelegt worden, der etwa 2000 Personen Platz bot. Noch größer waren die Bunkerstollen Papenbusch und Rosendelle. Letzterer hat in 18 Metern Tiefe ein verzweigtes Gangsystem von mehr als einem Kilometer Länge. Und schließlich gab es auch am Kaiser-Wilhelm Institut für Kohleforschung (heute MPI) einen Stollen, für die Mitarbeiter. 500 Kubikmeter Beton wurden hier verbaut.
Die wichtigsten Tiefbunker befanden sich bei Schloß Broich und am Marienplatz in Styrum. Von Bunkern war damals gar nicht die Rede, sondern von bombensicheren Luftschutzräumen. „Das sollte Sicherheit vortäuschen, die gar nicht vorhanden war“, stellt Georg Hötger fest. Schon 1935 wurden der Bau von Luftschutzkellern rechtlich vorbereitet. Nachdem im August 1940 die ersten Bomben auf Berlin fielen, zählte Mülheim zu den Großstädten, in denen vordringlich Schutzräume zu schaffen waren, damit die Beschäftigten der kriegswichtigen Industrien geschützt werden konnten. Neben Thyssen und der Friedrichs-Wilhelms-Hütte waren hier vor allem die Reichsbahn und die Wilhelm Schmitz-Scholl als Provianthersteller wichtig. Bei 140 000 Einwohner hatten etwa 13 Prozent Zugang zu Schutzräumen.

Über die meisten Bunker ist viel bekannt, über den Befehlsbunker an der Von-Bock-Straße dagegen recht wenig. Die Wehrmachtsbunker waren Verschlusssache.Hötger hat auch überörtlich bei unterschiedlichen Stellen angefragt.

An der Adolfstraße im Bereich der Hausnummer 101, an der Einmündung der Gaußstraße, hat jetzt ein Bauherr, etwas zurückversetzt ein neues Haus gebaut. Als Arbeiter die Hausanschlüsse legen wollten, sackte der Boden ab und ein großer Hohlraum wurde erkennbar. Der Zugang wurde notdürftig mit einem Bauzaun blockiert. Wie die Stadt mitteilte, vermutete sie dort den Luftschutzstollen. Vom Befehlsbunker liegt der eingebrochene Stollen gut 70 Meter entfernt. Von der Von-Bock-Straße wurde ein Zugang durch die Gärten der Hausnummern 92-102 bis zur Gaußstraße geführt. Die Zeichnung vermerkt schon auf Höhe der Hausnummer 94 einen Bombenkrater.

Ist der Stollen noch begehbar?

Hötger war vor Jahrzehnten bereits einmal in diesem Bunker. Die Polizei will versuchen, der Redaktion für die weitere Berichterstattung den Zugang zu ermöglichen -- sofern er noch begehbar ist.