Kaninchenzüchter gehörten einst zum Revier wie Kohle und Tauben. Jetzt ist diese Tradition vom Aussterben bedroht. Die Anzahl der Züchter geht deutlich zurück. Es fehlt der Nachwuchs
Haustiere. Dabei denkt man heute an Hund und Katze, aber nur selten an Kaninchen. „Das war nach dem Krieg anders. Da gehörten Gärten und Tiere ganz selbstverständlich zu den Haushalten im Revier, nicht nur Kaninchen, sondern auch Ziegen oder Tauben und Hühner“, erinnert sich der 71-jährige Eduard Roncari. Er selbst hat auch über Jahrzehnte Kaninchen gezüchtet und lange an der Spitze des Dümptener Kaninchenzüchtervereins R370 gestanden, ehe er seine Kaninchenzucht 2011 aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste.
Auch Klaus Brohn, der seit über 30 Jahren zum Dümptener Kaninchenzüchterverein gehört, weiß noch, dass sein Opa Willi nach dem Krieg Kaninchen gezüchtet hat, um die Familie satt zu bekommen. Doch dann zog er während der 50er Jahre in eine Mietwohnung und gab die Kaninchenzucht auf.
Keine Lust zum Ausmisten
Dieser Trend hat sich fortgesetzt. Neuer Wohnraum, quadratisch - praktisch - gut, wurde auf der grünen Wiese hochgezogen. Und mit jedem Mehrfamilienhaus verschwanden nicht nur alte Grünflächen, sondern auch kleine alte Häuser mit ihren Kaninchen-, Tauben- oder Hühnerställen. „Heute darf man seine Kaninchen noch nicht mal im Schrebergarten halten“, bedauert die 47-jährige Kaninchenzüchterin Kerstin Worms. Ihre Kinder, 21 und 24 Jahre jung, die früher mit Begeisterung dabei waren, haben inzwischen keine Lust mehr, in ihrer Freizeit Kaninchen mit Möhren, Brot, Trockenfutter, Getreide oder Brombeeren zu füttern und spätestens alle 14 Tage Kaninchenställe auszumisten. Der heutige Vorsitzende ihres Kaninchenzüchtervereins R370, Thorsten Krüger, erzählt: „In den 70er Jahren hatte unser Verein noch 50 bis 60 Mitglieder. Heute sind wir nur noch 19, der jüngste 15, der älteste 80“.
Seine Züchter- und Vereinskollegen Roncari, Brohn und Worms bestätigen die Entwicklung: „In den 70er Jahren gab es in Mülheim noch acht Kaninchenzüchtervereine mit insgesamt 120 Kaninchenzüchtern. Heute sind wir in Mülheim vielleicht 60 bis 65 Züchter verteilt auf vier Vereine, von denen aber nur noch zwei Ausstellungen veranstalten.“
Auch Krüger, der im Hexbachtal mit seiner ganzen Familie (Vater Siegfried, Ehefrau Annette, Tochter Franziska und den Söhnen Marius und Damian) Kaninchen züchtet, ist sich mit seinen Züchterfreunden einig, „dass es über kurz oder lang nur noch einen Kaninchenzüchterverein geben wird.“ Deshalb haben die Kaninchenzüchter aus Mülheim und Essen aus der Not eine Tugend gemacht und sich Anfang des Jahres zu einem Kreisverband zusammengeschlossen. „Wenn wir künftig nur noch einen Verein pro Stadt, statt wie einst einen pro Stadtteil haben, muss das nicht schlecht sein. Denn so kommen mehr Menschen zusammen und neue Ideen können entstehen“, findet Krüger.
Drei Mal im Jahr wird geschlachtet
Dass die Kaninchenzucht eines Tages ganz verschwinden wird, glaubt er nicht. „Es gibt immer mehr Menschen, zum Beispiel Rentner, die ihre viele Freizeit sinnvoll und naturnah gestalten wollen“, ist der 49-Jährige Familienvater überzeugt. Seine Frau und er finden „es immer wieder faszinierend, die Tiere aufwachsen zu sehen.“ Sohn Damian (16) schwärmt vom „schönen Fell“ seiner Kaninchen und ist sich mit seinen Eltern auch darin einig, dass Kaninchen gut schmecken. Am liebsten genießen die Krügers, die etwa dreimal pro Jahr schlachten, ihren Kaninchenbraten, frisch aus dem Ofen mit Klößen und Rotkohl.
Kanninchenfelldecken in der guten Stube zeigen, was von ihren Mümmelmännern übrigbleibt, nachdem sie das Zeitliche gesegnet haben. Kaninchen haben eine Lebenserwartung von maximal zehn Jahren. Doch nicht alle sterben nach ihrer Zucht- und Ausstellungszeit eines natürlichen Todes. Krüger schätzt, dass je ein Drittel seiner Kaninchen geschlachtet, verkauft und mit einem Gnadenbrot bedacht wird.
Auch Worms und Brohn, die sich aus Kindertagen „so eine Bauernhofmentalität“ bewahrt haben, haben ihre Lieblinge, die ihnen in keinen Kochtopf kommen. „Das ist etwas Gutes für die Seele“, erklärt Worms, warum sie sich seit 1999 mit Kaninchenzucht beschäftigt. Auch Brohn erlebt im Kaninchenstall so etwas „wie einen Ausgleich zum Alltag, Ruhe und Entspannung. „Manchmal sprechen wir sogar mit unseren Kaninchen. Denn man kann ihnen alles sagen, ohne dass sie widersprechen“, sagt Worms mit einem Augenzwinkern. Und ihr Vereinsvorsitzender Krüger formuliert es so: „Andere gehen zum Sport. Wir gehen in den Stall.“