Mülheim. In Mülheim ist nichts normal - jedenfalls nicht im Kulturhauptstadtjahr 2010, und schon gar nicht im Falle des 2010-Projekts „2 – 3 Straßen”, das der Künstler Jochen Gerz in Dortmund, Duisburg und Mülheim in einem der Hochhäuser auf dem Hans-Böckler-Platz realisiert.
Was ist eine Straße?
Als Straße (vom Lateinischen „via strata” = gepflasterter Weg) gilt eine für den Verkehr oder für einzelne Verkehrsarten bestimmte Fläche, die idealerweise zwei Orte direkt miteinander verbindet.
Normalerweise.
Die Straße strebt gen Himmel
In Mülheim ist nichts normal. – Jedenfalls nicht im Kulturhauptstadtjahr 2010, und schon gar nicht im Falle des 2010-Projekts „2 – 3 Straßen”, das der international renommierte deutsche Künstler Jochen Gerz in Dortmund, Duisburg und Mülheim realisiert.
Die Idee: In zwei bis drei „stinknormalen” Straßen werden freistehende städtische Wohnungen neuen Mietern für ein Jahr mietfrei zur Verfügung gestellt. Die Neuen treffen als eine Art soziale Skulptur auf die alten Bewohner und deren verfestigte Lebensgewohnheiten – aus dem Zusammentreffen entsteht im Laufe des Jahres eine veränderte soziale Situation, eine veränderte Wirklichkeit, die Gerz anschließend unter Mitwirkung der Mieter – alter wie neuer – dokumentieren will.
Duisburg hat zum Beispiel die Sankt-Johann-Straße und die Saarbrücker Straße für das Projekt ausgewählt. In Mülheim steht die Straße am Hans-Böckler-Platz 7.
Die Straße steht und strebt gen Himmel. Es ist eine „vertikale” Straße. Die Straße ist ein: Hochhaus.
Projektmanager Rainer Krause, der von Bremen aus die Gerz-Aktion betreut, kann seine Begeisterung über die Mülheimer Situation kaum zügeln. Nicht nur wegen der 13 Wohnungen, die zurzeit noch von der SWB renoviert werden und die Mitte Dezember bezugsbereit sein sollen. Auch wegen der fantastischen Möglichkeiten, die der „Highway to Heaven” eröffnet. Ganz hoch oben im Turm stehen nicht nur Appartments zur Verfügung, die zu Gästeappartments und vielleicht sogar zu einer „Pension zur Kunst” etwa für auswärtige Journalisten hergerichtet werden sollen. Gleich nebenan gibt es auch Sauna und Schwimmbad. „Einen solchen Kommunikationspunkt muss man im Rest der Republik lange suchen”, schwärmt Krause.
Jede zehnte Bewerbung kam aus dem europäischen Ausland
Unten, im Souterrain, entsteht als weiteres Kommunikationszentrum eine Mischung aus Kontaktbüro und Internet-Café. „Die alten Mieter”, meint Krause, „die ja durch das Projekt einbezogen werden, sind im Grunde unsere eigentliches Ziel”. Denn sie bleiben, wenn die 2010-Gastmieter längst wieder ausgezogen sind, und leben mit der wie auch immer veränderten Wirklichkeit weiter.
Doch die neuen Impulse kommen natürlich zunächst von den „Fremden”, die vor rund einem Jahr gesucht wurden. Über eine Kampagne in WAZ, WDR, NZZ und Spiegel. Und online. „Rund 1400 Bewerbungen haben wir erhalten”, sagt der Projektmanager, „jede zehnte Bewerbung kam aus dem europäischen Ausland und aus Übersee.” Aus New York. Sogar aus Kabul. „Wir haben den Kreis dann eingeschränkt auf ein paar Hundert, die ihr Interesse an dem Projekt glaubhaft dargelegt haben und denen wir zutrauen, dass sie auch tatsächlich regelmäßig ihre Erfahrungen und Eindrücke niederschreiben.”
Wobei die endgültige Auswahl etwas durch bürokratische Hürden beeinflusst wurde. Bei Bewerbern aus Nicht-Schengen-Ländern, so Krause, seien manche Probleme (Visum, Versicherung etc.) einfach nicht so leicht lösbar gewesen.
Wie international, oder zumindest bundesdeutsch, sich die Mietgemeinschaft in der vertikalen Straße demnächst zusammensetzt, wird noch nicht verraten. Nur so viel: In die 13 Wohnungen ziehen Familien ein, aber auch Pärchen und sogar Wohngemeinschaften. Vorgestellt werden sollen die neuen Mieter zum Einzugstermin im Dezember.