Mülheim.

„Niemand kann aus der Geschichte seines Volkes austreten. Man soll und darf die Vergangenheit nicht auf sich beruhen lassen, weil sie sonst auferstehen und zu neuer Gegenwart werden könnte.“ Mit diesem Zitat hat Friedrich-Wilhelm von Gehlen vom Arbeitskreis Stolpersteine am Freitag eine Ansprache im Haus der Stadtgeschichte begonnen. Es sind Worte, die ihn berühren, und Worte, die erklären, warum es Projekte wie das der Stolpersteine von Gunter Demnig gibt. Vor Häusern im ganzen Land finden sich dessen quadratische Betonblöcke mit Messingplatte, deren Inschrift an das Schicksal der Bewohner erinnert. Sie wurden allesamt in der NS-Zeit ermordet.

Von Gehlens Ansprache galt einer Gruppe Acht- und Zehntklässlern der Realschule Mellinghofer Straße. Sie waren ins Stadtarchiv gekommen, um einen metallenen Hahn zu übergeben. Der Hahn ist Teil des Hoffnungspreises, den der Kirchenkreis An der Ruhr jährlich vergibt und der im Jahr 2011 an den Arbeitskreis Stolpersteine gegangen war. Da sich die Realschüler in einer Stolperstein-AG engagieren, hatte besagter Hahn eine Weile ihre Schule geziert. Nun aber hat er ein dauerhaftes Zuhause gefunden: im Lesesaal des Stadtarchivs.

„Durch die Akten werden die Menschen lebendig“

Mit den 1500 Euro Preisgeld, die der Arbeitskreis damals bekommen hatte, wurden weitere Stolpersteine verlegt und ein Flyer finanziert, der ab sofort im Archiv, in der Touristeninformation und in Kultureinrichtungen erhältlich ist. Er beinhaltet einen Rundgang zu den Steinen und gibt allerlei Tipps für Interessierte, die sich mit der Materie beschäftigen möchten. Die 24 Mädchen und Jungen der Stolperstein-AG engagieren sich mit ganzem Herzen für die Sache. Von echten Schicksalen zu erfahren, sei etwas anderes als abstrakte Geschichtsdaten pauken zu müssen, sagt Religionslehrerin Lisanne Höltgen. „Durch die Akten werden die Menschen lebendig und die Schüler verstehen, dass die Taten mitten unter uns passiert sind.“

Bei ihren Recherchen stießen sie auch auf die Jüdin Elfriede Löwen­thal, die von 1915 bis 1933 an eben jener Schule unterrichtete, die sie heute besuchen. Damals allerdings war es eine Volksschule – und Elfriede Löwenthal wurde ein Opfer ihrer grausamen Zeit. 1945 ließ man sie für tot erklären, nachdem sie 1942 mit Schwester und Mutter zunächst nach Theresienstadt und dann nach Auschwitz deportiert worden war.

Diesen Stein, übrigens, finanzieren die Schüler selbst

Der Familie Löwenthal wird ab 2014 mit neuen Stolpersteinen gedacht – ebenso wie drei anderer Mülheimer Opfer. Die Lehrerin bekommt nicht nur einen Stein vor dem Wohnhaus an der Bahnstraße, sondern auch vor der Schule, an der sie einst lehrte. Diesen Stein, übrigens, finanzieren die Schüler selbst.