Besorgt stellt die Polizei eine Zunahme von Trickbetrügern fest. Die Opfer: ältere Menschen in anonymen Wohngegenden. Eine Seniorin verlor 37 000 Euro, eine andere sollte mit 2000 Euro ihre Tochter retten.

Jeden Tag Wirtschaftskrise, Finanzkrise, Bankenkrise. Irgendwann reichte es einer Mülheimerin, sie hatte jedes Vertrauen verloren. Sie geht in die Bank, holt ihr Vermögen ab. Zu Hause scheint ihr das Geld sicherer zu sein. 37 000 Euro. Bis heute ist es der Polizei ein Rätsel, ob sie beobachtet wurde oder ob der Zufall mitspielte. Einige Tage später erscheint ein Mann an ihrer Wohnungstür. Als Wasserwerker gibt er sich aus. Sie lässt ihn hinein, als er geht, ist das Vermögen weg.

Der Kommissar selbst ist auch nach vielen Berufsjahren manchmal noch fassungslos – das Opfer erst recht. Wie konnte man nur so leichtsinnig sein? Mit Sorge stellt die Polizei fest, dass die Zahl der Trickdiebstähle in den Wohnungen zunimmt und mit ihr die Dreistigkeit der Täter, so Kriminaloberkommissar Joachim Beyer, der allein im vergangenen Jahr 102 Fälle bearbeiten musste. Dabei ist er überzeugt: „Viele melden sich nicht, schämen sich. Und das ist falsch.” Die Menschen hätten gerade in Großstädten Angst vor einem Überfall auf offener Straße. Das Risiko sei dort aber eher gering. Der gefühlte sichere Bereich Wohnung sei viel häufiger Tatort, stellt Polizeioberkommissar Lars Lindemann fest.

Zum Glück gehen die Täter nur selten so brutal vor wie an der Bruchstraße, wo sie an einer Wohnungstür klingeln und die alte Frau sofort nach dem Öffnen niederschlagen. Sie rauben sie aus. Die Täter, so Beyer, würden meist höflich auftreten, seien gut gekleidet, versuchten schnell Vertrauen zu gewinnen. Oft täuschten sie Notlagen vor.

So wie in jenem Fall, den eine Bewohnerin an der Aktienstraße erleben musste. Das Telefon schellt. Es meldet sich eine Frau, sie gibt sich als Ärztin aus, berichtet, dass die Tochter der Mülheimerin verunglückt sei und eine Spezialbehandlung benötige. 2000 Euro solle sie dafür vorbeibringen, sie warte vor dem Uni-Klinikum in Essen. Die Dame von der Aktienstraße ist geschockt, besorgt eiligst 2000 Euro, fährt zum Klinikum, wo eine Frau im weißen Kittel auf sie wartet. Sie nimmt die 2000 Euro entgegen und berichtet, dass die Tochter soeben mit dem Hubschrauber in eine Spezialklinik geflogen worden sei. Die Tochter – sie war daheim. Gesund.

Warum reagieren die Opfer so gutgläubig? „Sie werden überrumpelt, ihnen wird keine Zeit zum Nachdenken gelassen oder um Bekannte zu befragen”, sagt Beyer. Für besonders gefährdet hält er ältere Menschen, Bewohner in großen Mietshäusern und Wohnanlagen, überall dort, wo die soziale Kontrolle der Nachbarschaft fehlt.

Die meisten Fälle, die er derzeit auf dem Tisch liegen hat, sind Vorfälle, bei denen sich die Betrüger als Telekom-Mitarbeiter ausgaben, den Menschen unter dem Vorwand, sie könnten sparen, teure Verträge aufschwatzen – und sie im großen Stil noch bestohlen haben. „Sie kommen immer zu zweit, gehen von Tür zu Tür.” Die Tat dauert oft nur wenige Minuten. „Die wissen, wo alte Menschen ihr Geld versteckt haben.” Nie Unbekannte in die Wohnung lassen, lautet eine der wichtigsten Regeln, die die Polizei zur Vorbeugung ausgibt. Und: Skeptisch sein, bei kleinsten Zweifeln nachfragen, etwa beim Vermieter, wenn angebliche Überprüfungen erfolgen sollen.

Noch immer funktioniert der Enkel-Trick. „Wir haben es hier mit großen kriminellen Gruppen zu tun”, berichtet der Kripo-Mann. Gezielt durchstöbern sie Telefonbücher, suchen nach alten Vornamen, weil sie dahinter alte Menschen vermuten. Diese rufen sie an, reihenweise: Ich bin's, Dein Enkel. „Und es folgt eine jener Geschichten, die auf Mitleid abzielen und mit Geldforderungen enden. „Morgens wird angerufen, nachmittags abkassiert”, sagt Beyer und kommt noch einmal auf die Dreistigkeit zu sprechen. „Da geben sich inzwischen auch manche als Polizei aus und erklären den alten Leuten, dass sie den Enkeltrick auffliegen lassen wollen.” Das Geld nehmen sie dann aber auch – um es angeblich auf Fingerabdrücke zu überprüfen.