Mülheim..

Kino war für Ulrich Stiewe immer mehr als Popcornkauen und Colaschlürfen. Der pensionierte Lehrer hat sich viele Jahre lang mit Leidenschaft für das Kino als offenen Kulturraum eingesetzt. In den 80er-Jahren bespielte er ein Kino im Löwenhof, dann eines am Kassenberg und später den Filmpalast an der Schloßstraße. Doch das ist lange her. Am Donnerstag legt er noch einmal eine Filmrolle ein - und zeigt zum 100. Geburtstag des verstorbenen Schriftstellers Albert Camus eine weltweite Rarität: „Der Fremde“ von Luchino Visconti mit Marcello Mastroianni.

Es sind die nicht so perfekten Streifen, die Uli Stiewe begeistern. Etwa „Heaven’s Gate“, einer der größten Flops der Filmgeschichte. Oder eben Viscontis Version von „Der Fremde“. „Der Film schien ihm selbst misslungen, dabei ist er toll“, findet der ehemalige Bio- und Religionslehrer.

Projektor auf wackligen Bierkisten

Angefangen hat alles mit einem 16 mm-Projektor auf wackligen Bierkisten. „Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre muss das gewesen sein.“ Da startete Stiewe gemeinsam mit Schülern ein Programm im Löwenhof. Kurze Zeit später wurde das Gebäude abgerissen – die Kinogänger mussten umziehen. „Wir fanden Räume am Kassenberg, die zur Lederfabrik gehörten.“ Schnell wurde aus dem Kino am Kassenberg ein Treffpunkt für Jugendliche und Erwachsene. Sie nutzten das Kino nicht nur, um Filme zu zeigen, sondern auch für Konzerte, Kabarett und Kartenspiele. „Am 11. Mai 1983 sind sogar die Toten Hosen bei uns aufgetreten.“ Im Kino war’s ein bisschen wie auf Klassenfahrt – mit Punks, die Bier tranken, Freunden, die Musik hörten und sich in Sommernächten hinter dem Vorführraum in der Ruhr abkühlten. Sozialarbeit war es ja auch irgendwie, seine Schüler wurden eingebunden: „Der eine brachte draußen Filmtitel an, der andere wechselte die Filmrollen.“ Zuschüsse bekam das Kino jedoch nicht, etliche tausend Mark steckte Stiewe selbst in das Projekt.

Das Programm bestand aus Filmen wie „Fitzcarraldo“ mit Klaus Kinski oder „Mitten ins Herz“ von Doris Dörrie. „Jeden Tag liefen zwei Filme und am Wochenende vier.“ In die langen Filmnächte torkelten junge Leute aus dem Winkhaus zum Kassenberg, um in rauchgeschwängerter Luft und harten Sitzen bis zum frühen Morgen Filme anzuschauen. 1985 mussten Stiewe und seine Filmfreunde schließlich auch aus diesem Gebäude weichen – es wurde abgerissen, weil Wohnungen entstanden. Dann zogen sie für kurze Zeit in den Filmpalast an der Schloßstraße, später sogar ins Dachgeschoss der Alten Post. Doch die Zuschauer blieben am Ende aus. „Wenn du keinen Rocky oder Terminator hast, hungerst du aus.“ Und heute? „Gibt es in Mülheim kein Publikum mehr für so etwas“, ist Stiewe überzeugt. Daher soll es bei dem einmaligen Filmabend in der Dezentrale bleiben.